Samstag, 7. Oktober 2017

Flohmarkt mal wieder

Flohmarkt mal wieder
(diesmal von der anderen Seite gesehen)
Ich sehe den Yuppie-Schnösel schon aus zig Metern Entfernung nähertänzeln. Er geleitet eine Grinse-Tussi, in seinem Besitzerarm eingewickelt – sie ist durch und durch blond, das kann ich schon hören.
Ausgerechnet an meinen Bücherkisten verharren sie; also er stoppt den Zweierverbund, mich schräg und schnell geringschätzig musternd. Er hat schon jetzt die volle Punktzahl bei mir.
Schauen wir mal, was wir hier so haben.“ Er klingt genauso wie er ausschaut, großkotzig, scheinbar jovial, selbstverliebt. Oh ja, so einen mag ich auf Anhieb.
Dürrenmatt, na wer sagt‘s denn!“ Natürlich näselt er modern. Prompt hebt sie entsprechend quäkend und kichernd zu „Dürr-was?“ an, da blättert er durch die gebundene Gesamtausgabe; er hat ihr den Schutz seines rechten Armes entzogen, sie schmiegt sich sofort an ihn, weiß so gar nicht, wohin sie schauen soll - ins Buch auf keinen Fall. Sie schaut für alle Fälle zu ihm hoch. Ich warte, daß sie keck ein Beinchen hochstellt – na, kann nicht lange dauern.
Wieviel?“ fragt er hochmütig, und ich weiß, die drei Euro akzeptiert er nicht, er will sich ja in seiner Selbstbewunderung produzieren – und mich nebenher noch vorführen.
Was? Hab‘ ich richtig gehört? Soso, drei Euronen. Nicht gerade meine Preisvorstellung, ist ja hier keine Buchhandlung – kann man am Preis noch was machen?“ Affektiert und breit grinst er mich mit seinem blendend weißen Zahnpasta-Reklame-Gesicht an, derweil sie mit offenem Mündchen aufgeregt von ihm zu mir mit törichtem Augenaufschlag schaut. Er überfliegt das Inhaltsverzeichnis, meint nun glänzen zu müssen und schnarrt: „Nicht mal Es geschah am hellichten Tag ist drin!“ Ich gebe ihm zu verstehen, daß die Novelle im Original schließlich Das Versprechen heiße. Schnell geht er über meinen Einwand hinweg und wendet sich an seine gickelige Schnepfe. „Hat er für den Rühmann geschrieben, weißte!“ Sie schaut ihn leer an. „Der Filmklassiker – kennste!“ schickt er nach, immerzu sich eine Gel-Tolle vom linken Auge streichend. Mir wird langsam schlecht, ich halte mich aber zurück. „Was Du auch alles weißt, Schnucki!“ zirpt sie ihn schmachtend an.
Also – neuer Preis?“ Sogar durch Hochziehen der Augenbrauen versucht er sich noch größer zu machen. Ist das Kajal an seinen Augen? Vor mir hat sich nun ein Prachtbild von einem ewig jugendlich dynamischen Mann mittleren Alters aufgebaut, wie ein entlaufener Kleiderständer mit den angesagten Marken. Bestimmt Abiturient fürs Leben. Der Drei-Tage-Bart hat sicherlich viel Aufwand erfordert. Oh, wie bin ich oller Bücher-Verscherbeler beeindruckt. Wo er sich doch bereits als versierter Literatur-Durchblicker zu erkennen gegeben meint.
Klar doch“, sage ich, „am Preis kann ich was machen – sagen wir, weil Sie es sind: drei fünfzig?“ Er ringt nach Luft, mies gespielt wie von einem zweitrangigen TV-Soap-Darsteller. Die Anschmiegsame scheint meine kühne Forderung sogar leidlich verstanden zu haben, reißt Augen und Mund auf und kichert mit ihm irritiert um die Wette, voller Verunsicherung den Blick hin- und herwerfend. Bestimmt geraten beider Duftwolken nun durcheinander.
Also klar Meister – nach unten natürlich!“ Beide verdrehen einträchtig die Augen. Er weist herrisch mit vermutlich manikürten Fingerchen auf den Boden vor sich.
Ich schaue kurz aber betont über meinen Stand hinüber, direkt vor den beiden auf den Boden. „Nun gut, ich will nicht so sein, kann Sie doch gut verstehen – wir sind bei drei fünfzig – ich gehe runter auf … drei Euro – mehr Entgegenkommen ist aber nun wirklich nicht drin.“ Tückisch mache ich eine Kunstpause. „Hören Sie mal genau hin, kriegen Sie es mit?“ Verschwörerisch vereinnahme ich beider Aufmerksamkeit. „Können Sie es hören? Bis hier ist es zu vernehmen.“ Zwei blöde Gesichter starren mich an. „Hören Sie mal…“ Gebieterisch hebe ich einen Zeigefinger, unwillkürlich kommen die beiden teuer frisierten Köpfe ein wenig näher – und ich wispere unheilschwanger: „Meine Kinderchen schreien nach Brot.“
Er greift sein Blondchen so plötzlich, daß sie fast hinfällt, ehe sie wieder ihre Stöckelschuhe staksig in tackernden Trippelschritt bringt. Ihr Seitenblick streift mich voller Verachtung, als wäre mir das Geschäft meines Lebens entgangen: das habe ich nun davon. Irgendwas flucht er höhnisch prustend vor sich hin und findet wohl auch Beschreibungen für mich, denn sein Liebchen pflichtet ihm eifrig bei.
Sicherlich werde ich heute Abend wieder mit Tränen im Bett liegen – vor Lachen.