Donnerstag, 11. Januar 2018

Mein Onkel, der olle Stromer

Mein Onkel, der olle Stromer

Vor Jahren besuchte ich meinen Onkel Heribert im betreuten Wohnen – und ein Abgrund tat sich auf. Vorausschicken muß ich, daß er dort seit einigen Jahren eine kleine Wohnung im Seniorenzentrum mit seiner Lebensgefährtin Olga teilte (Tante Irmi hatte er bereits entsorgt – ja, klingt heftig, aber er war auch eine schlimme Nummer, eine harte Nuß sozusagen), und Olga hatte es sich auf die Fahne geschrieben, ihn zu überleben, aus welchen Gründen auch immer. Sie war acht Jahre jünger, die Chancen schienen gut zu stehen. Aber dann kam dieser dezente Hinweis von ihr am Telefon, ich sollte mal kommen um zu schauen, mehr wollte sie nicht sagen.
Es war der zweite Weihnachtsfeiertag. Ich war bei Onkel Heribert schon viel gewohnt, wir pflegten die letzten Jahre so einen lockeren Kontakt, seit ich in den Ruhestand gegangen war, und der nun Achtundachtzigjährige war auch immer für amüsante Überraschungen gut. Es war Nachmittag, wir aßen Kuchen, auf dem Adventskranz flackerten die bläulichen Flämmchen, alles schien gut. Sonderbar war nur diese kurze Illumination des Christbaumes – also: ich sollte hinschauen, er steckte den Stecker in die Dose, fragte: „Gesehen?“ und schon zog er ihn wieder heraus. Nun gut, wir hatten ja die 4 Kerzen, aber schade, das Tännchen hätte doch weiterleuchten können an diesem trüben Tag. Und es war doch noch Weihnachten! Dann stand ein alter Rühmann-Film an, ich hatte eben die Balkontür wegen des Rauches der Kerzen geöffnet, als mir auffiel, wie er auf seine Armbanduhr schaute und zackig die Stromverbindung herstellte, der Film begann punktgenau. (Das hatte sich übrigens gegenüber früher geändert: Was hatte ich stets gelacht, wenn er die Tagesschau anmachte, auf die Sekunde und sich aufregte, wenn die erste Meldung schon lief…“ Die haben wieder früher begonnen!“ Für mich ein sich garantiert wiederholender Witz.) Wir schauten jetzt verbissen die alte Komödie, wohl eine unmißverständliche Bedingung von Olga, obwohl er meinte, den schon gesehen zu haben und entsprechend unruhig auf seinem Sessel herumrutschte. Jedenfalls war klar, gleich war er zu Ende, da stand Onkel Heribert schon neben der Steckdose – exakt mit Beginn des Abspanns riß er den Stecker raus. Danach erst drückte er den Schalter am Fernsehgerät, und damit ließ er sich dann Zeit.
Es setzte so langsam die endgültige Dämmerung ein, aber mein dezenter Hinweis auf ein wenig erhellende Unterstützung mittels Lampe wurde schnell übergangen mit: „Geht doch noch!“ Nun ja, an den Silhouetten erkannte ich, wer sich wo befand. Schwieriger war es für mich, das Klo, nach innen gelegen, aufzusuchen. Ich hatte den Schalter für das Licht unbesorgt angeknipst, saß noch nicht richtig, da ging das Licht aus und er reichte mir eine Laterne hinein. Die sollte ich mit rausbringen, das machten sie immer so. Nun tauschte ich, soweit erkennbar, Seitenblicke mit Olga, die hinter seinem Rücken mit dem Kopf nickte; ‚na, was habe ich gemeint‘ sollte das heißen, und es wurde mir immer mehr bewußt: Wir befanden uns in einer ganz neuen Dimension. Wir saßen nun um die unbestreitbar schöne Lichtquelle herum. Als wir den Tisch abräumten, nein, kein Licht anmachten: die Laterne stellte er seitlich auf die Arbeitsfläche, wo die Stecker von Toaster, Radio, Kaffeemaschine und Mixer aufgereiht lagen: vor den Steckdosen. Als ich ihn darauf ansprach fragte er mich, ob ich es denn nicht in der Verbrauchersendung gesehen habe: Stecker stets ziehen, sie holen auch bei nicht eingeschalteten Geräten Strom! Sein Thema wohl, er klang beschwörend. Er sei geradezu ein Feind dieser unseligen „Stand-by“-Kontrolllämpchen! Das plättete mich nun doch ein wenig. „Ja, Waschmaschine, sogar Nachttischlämpchen – alles ohne direkte Verbindung zum Stromlieferanten!“ es klang aus dem Munde von Olga tragikomisch. Sein Credo: Erst Stecker ziehen, dann den Ausschalter. Ich mußte tief durchatmen, damit der Lachanfall sich löste. Ernüchtert war ich, als ich erkennen mußte, daß er es gar nicht als Spaß meinte, sondern weiterpredigte, daß es nichts mit Geiz zu tun habe, selbst den Umweltschutz hatte er nur nachrangig in seiner Begründung: Es gehe ihm darum, ein Beispiel zu geben für die anderen Wohneinheiten. Sein Ziel war der geringste Stromverbrauch des ganzen Blocks. Er liege an zweiter Stelle, gleich nach Wohnung zwölf. Olga erklärte, diese stehe leer wegen dringender Renovierung. Nur ab und an werde dort ein elektrisch betriebenes Werkzeug angeschlossen. Das klang nun mächtig beeindruckend.
Eine zweite Laterne mit Teelicht war ihr Geschenk für ihn, er soll sich noch nie so über seine Weihnachtsüberraschung gefreut haben. Ich stellte mir vor, wie die alten Leutchen, ohne Deckenlampen einzuschalten, abends mit Laternen herum wandelten. Sie erwähnte, nicht ohne eine Spur von Spott, daß sie ihm die Fackel, die er anfangs zum Einsatz brachte, schon hatte austreiben wollen – und nach dem Zimmerbrand war es ihm auch beschwörend von der Hausverwaltung nahegelegt worden. Auch dürfe er nicht die Glühbirnen aus den hauseigenen Lampen entfernen! Offenbar war man hier so einiges gewöhnt – von Heribert im Besonderen.
Ich stellte mir vor, er würde mein Haus sehen, diese ganze Technik mit all den Lichtlein – es wäre zu viel für ihn, mit Sicherheit. Ich verabschiedete mich. Beim Verlassen des Wohnzimmers erleuchtete ich noch mal den Weihnachtsbaum. Er kam spornstreichs herbei gehechtet, ratz, Stecker raus, ich hätte doch den Baum schon gesehen – und es klang enttäuscht, ob ich denn so gar nichts begriffen hätte. „Ich wollte ihn nur noch mal sehen“, grinste ich und beendete meinen Besuch.
Sie brachten mich mit der Laterne zur Tür, wir verabschiedeten uns und der Tausch der Blicke mit Olga beinhaltete ihrerseits so ein ‚Ich laß mich nicht unterkriegen‘ und ich mußte auf einmal süffisant denken, wenn sie ihn mit Beharrlichkeit bezwungen hatte, also überlebt – ihr würde wirklich und wahrhaftig ein Licht aufgehen.

6 Kommentare:

  1. Also ganz so unrecht hatte er ja nicht mit dem Stand-by. Da muss ich zugeben dass ich auch darauf achte d.h. ich habe z.B. den Fernseher nebst Receiver an einer Steckdosenleiste die ich ausschalten kann. Ich brauche dort keine Anzeigen die mir die Uhrzeit anzeigen, und halt Strom ziehen. Ansonsten musste ich aber echt grinsen; aber da kann man sehen wie dann alte Menschen reagieren wenn sie was in den falschen Hals bekommen. So ne Entwicklung hätte es auch bei meinem Dad geben können, zumindest könnte ich es mir gut vorstellen. Der hatte sogar den Tick überall genau draufzuschreiben wann angeschafft oder wie bei Sparbirnen wann sie reingedreht wurden^^

    Übrigens musste ich bei der Geschichte auch an die früheren Kerzenhalter denken, die mit dem Henkel wo man mit rumlaufen konnte (Opi mit langem, weissen Nachtgewand und Schlafmütze vor Augen) ;-)))

    HOffe dir geht es soweit gut und möge für dich jedes Lichtlein brennen^^

    Herzliche Grüsse

    N☼va

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  2. Ich wünsche Dir ein gutes neues Jahr, liebe Nova. Bald bin ich wieder in Blickweite und wir werden rüberwinken, wie immer!
    Schönes Wochenende schon mal an dieser Stelle.

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  3. tja.. bei uns hätte der gute Onkel auch Herzinfarkt bekommen von dem ganzem Strom Verbrauch :) Wie immer eine lustige Geschichte. Mehr davon bitte .

    LG

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  4. Danke schön, liebe Iwona - ich wünsche einen guten Sonntag (hier wird es zunehmend heller - es wird also)

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  5. Faszinierend, wie Deine phantasie immer wieder mit Dir spazieren geht ;)
    Könnte aber auch alles tatsächlich sein ... nicht? ;)

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  6. Oh, wen haben wir denn da?
    Pssst - Du weißt nix - gaaaaar nix!

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Danke! ;)