Montag, 29. April 2019

Der Name als Last

Er hat Schuld
(Nein, hat er eben nicht!)
Ging das noch als nachlässige Unbesonnenheit durch – oder war es nicht vielmehr ein Zeichen unergründlichen Humors seiner Eltern; man kann es heute nicht mehr sagen. Wer will da spekulieren, bringt ja nichts, der Familienname Schult stand schließlich. Aber er war letztlich nicht das neunte Kind oder so: er war und blieb Einzelkind, und dennoch brachten sie es fertig, ihn auf den Namen Erhard taufen zu lassen. Erst viel später vermochte er sich das Grinsen bei der Taufe in der Kirche unter den Anwesenden auszumalen. Verschämtes Kichern hinter vorgehaltener Hand. So richtig auszubaden hatte er es später in der Schule, soviel stand fest. Auch wenn seine Sportleistungen nicht als Glanzlichter zu verzeichnen waren, so ließ es sich die sich selber aufwiegelnde Meute niemals entgehen, ihn geradezu euphorisch in die Höhe, in die Weite und über die Distanz anzufeuern: Erhard Schult, und es schallte, wie ein Lauffeuer um sich greifend, im ganzen Sportplatzrund: „Er-hat-Schuld! Er hat Schuld!“
Mit zunehmendem Alter hatte er es gelernt, sich stets mit Schult, Vorname Erhard bekannt zu machen. „Also Erhard Schult, also….“ Ja-a!
Beim Militär kam der Dienstgrad hinzu: „Grenadier Erhard Schult!“ Als wären noch andere „Schuldige“ in der Kompanie, der Vorname gehörte, gerade bei ihm, unbedingt dazu. Das war schon wie ein Zwang, so kam es ihm vor. Kurzweilig war es immer, weil es mit Sicherheit für irgendjemand neu war, und dann auf einmal der Groschen fiel: „Ach nee, echt jetzt?“
Seine Eltern, er hatte es in jungen Jahren versäumt, sie zur Rede zu stellen, waren schon vor seiner Pubertät durch einen Frontalzusammenstoß ums Leben gekommen. Er hatte nur wenig Gelegenheit, mit ihnen darüber zu reden, sie zuckten vieldeutig mit den Achseln, empfanden keine …Reue – und insoweit mußten sie später dafür herhalten, daß er, sollte sich immer wieder einmal Gesprächsbedarf hinsichtlich seines Namens ergeben, anderen seine verächtliche Klarstellung als Dankeschön gehässig nachrufen lassen: Sie haben sich flott vom Acker gemacht! Diese wahren Schuldigen.
Bei der Beerdigung stand er vor Angehörigen, Nachbarn und sonstigen Anwesenden vor dem Pfarrer, der unbedacht seinen Sermon abspulte: „Liebe Trauergemeinde, wir sind heute hier zusammen gekommen um von zwei Menschen Abschied zu nehmen und schauen auf ihren Sohn: Erhard Schult.“
Vorstellungsgespräch. Erhard Schult. „Ja…wie jetzt? Was wollen Sie damit sagen, Wer???“ Ein Unfall: „Ihre Papiere bitte – Ihr Name?“ Erhard Schult. „Nun mal ganz langsam, erst Ihren Namen bitte!“
Wegziehen hatte keinen Sinn, das Problem zog immer mit. Und als er Renate Last kennen und lieben lernte, war eines direkt klar: Sie wollte um nichts in der Welt einen Doppelnamen tragen – und auch für ihn stand von vornherein nicht zur Debatte, ihren Namen anzunehmen.


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