Er
hat Schuld
(Nein,
hat er eben nicht!)
Ging
das noch als nachlässige Unbesonnenheit durch – oder war es nicht
vielmehr ein Zeichen unergründlichen Humors seiner Eltern; man kann
es heute nicht mehr sagen. Wer will da spekulieren, bringt ja nichts,
der Familienname Schult stand schließlich. Aber er war letztlich
nicht das neunte Kind oder so: er war und blieb Einzelkind, und
dennoch brachten sie es fertig, ihn auf den Namen Erhard taufen zu
lassen. Erst viel später vermochte er sich das Grinsen bei der Taufe
in der Kirche unter den Anwesenden auszumalen. Verschämtes Kichern
hinter vorgehaltener Hand. So richtig auszubaden hatte er es später
in der Schule, soviel stand fest. Auch wenn seine Sportleistungen
nicht als Glanzlichter zu verzeichnen waren, so ließ es sich die
sich selber aufwiegelnde Meute niemals entgehen, ihn geradezu
euphorisch in die Höhe, in die Weite und über die Distanz
anzufeuern: Erhard Schult, und es schallte, wie ein Lauffeuer um sich
greifend, im ganzen Sportplatzrund: „Er-hat-Schuld! Er hat Schuld!“
Mit
zunehmendem Alter hatte er es gelernt, sich stets mit Schult,
Vorname Erhard
bekannt zu machen. „Also Erhard Schult, also….“ Ja-a!
Beim
Militär kam der Dienstgrad hinzu: „Grenadier Erhard Schult!“ Als
wären noch andere „Schuldige“ in der Kompanie, der Vorname
gehörte, gerade bei ihm, unbedingt dazu. Das war schon wie ein
Zwang, so kam es ihm vor. Kurzweilig war es immer, weil es mit
Sicherheit für irgendjemand neu war, und dann auf einmal der
Groschen fiel: „Ach nee, echt jetzt?“
Seine
Eltern, er hatte es in jungen Jahren versäumt, sie zur Rede zu
stellen, waren schon vor seiner Pubertät durch einen
Frontalzusammenstoß ums Leben gekommen. Er hatte nur wenig
Gelegenheit, mit ihnen darüber zu reden, sie zuckten vieldeutig mit
den Achseln, empfanden keine …Reue – und insoweit mußten sie
später dafür herhalten, daß er, sollte sich immer wieder einmal
Gesprächsbedarf hinsichtlich seines Namens ergeben, anderen seine
verächtliche Klarstellung als Dankeschön gehässig nachrufen
lassen: Sie haben
sich flott vom Acker gemacht!
Diese wahren Schuldigen.
Bei
der Beerdigung stand er vor Angehörigen, Nachbarn und sonstigen
Anwesenden vor dem Pfarrer, der unbedacht seinen Sermon abspulte:
„Liebe Trauergemeinde, wir sind heute hier zusammen gekommen um von
zwei Menschen Abschied zu nehmen und schauen auf ihren Sohn: Erhard
Schult.“
Vorstellungsgespräch. Erhard
Schult. „Ja…wie
jetzt? Was wollen Sie damit sagen, Wer???“ Ein Unfall: „Ihre
Papiere bitte – Ihr Name?“ Erhard
Schult. „Nun mal
ganz langsam, erst Ihren Namen bitte!“
Wegziehen
hatte keinen Sinn, das Problem zog immer mit. Und als er Renate Last
kennen und lieben lernte, war eines direkt klar: Sie wollte um nichts
in der Welt einen Doppelnamen tragen – und auch für ihn stand von
vornherein nicht zur Debatte, ihren Namen anzunehmen.