Sonntag, 28. Juli 2013

Organspende


Organ-Geschäft

Es sollte eigentlich um Organspende gehen, aber schon das Wort Spende läßt mich zögern. Ja richtig – ich bin Gegner dieser Menschen-Täuschung: Ich hatte schon immer meine Zweifel – da brauchte ich erst gar nicht die Aufdeckung der Skandale aus jüngster Zeit. „Ein Hirntoter kann sieben Menschenleben retten!“ Ach – echt??? Glückselige Reklame-Menschen feiern nun einen zweiten Geburtstag, ja-ja! Und der Klassiker: Wir schauen in die großen Augen des sehnsüchtig auf ein Organ wartenden Kindes, das hat Wirkung, die fröhlich weiterlebenden Geretteten – den Spendern sei unendlicher Dank gewiß! Wen rührt das nicht an, das verstehe ich alles – nun  habe ich, weil es doch aktuell ist, mir sofort einen Spenderausweis beschafft – und angekreuzt, dick und fett: NEIN, ich widerspreche einer Entnahme von Organen oder Geweben (tauchte unter 5 Punkten, richtig getarnt finde ich, als 4. auf). Nun bin ich ein wenig beruhigter. Meine Maxime lautet: Ich gebe nichts, ich nehme nichts!

   Warum? In der Fachliteratur zu diesem durchaus komplexen Gebiet ist schon mal zunächst der Hirntod eine recht strittige Angelegenheit – und ich bin schon aus Prinzip eher auf Seiten der Skeptiker als der Befürworter (die grundsätzlich von irgendwo finanziert werden). Wer mehr dazu wissen möchte, daß an einem herumgeschnippelt wird, wenn man alles andere als wirklich tot ist, lese die sehr zu empfehlenden Bücher von „Nestbeschmutzern“ wie Frau Professor Dr. Anna Bergmann* oder Richard Fuchs** . Viel zu wenig wird von der qualvollen Nachsorge berichtet: Dem unablässigen Kampf des Körpers gegen die naturwidrige Heilung, weil er das Organ abstoßen will. Und die protzig bezahlte Medizin geht dagegen an: Der Mensch zeigt der Natur, wie überlegen er sein kann.

   Ich bedurfte für meine ohnehin vorhandene Skepsis gar nicht erst der Transplantations-Skandale. Dass es um das liebe Geld, die Geschäftemacherei letztlich auch hier geht, war mir intuitiv klar, ich kenne doch meine lieben Mitmenschen. Wer mehr zahlt, und vor allem verdeckt, der ist früher dran, niemals hätte ich da auch nur einen Moment Zweifel gehegt.

   Nein, mir hat einfach die Erkenntnis gereicht, daß es überall, vornehmlich natürlich in der Dritten Welt, sowas wie Schlachthäuser für Menschen gibt. Das ist kein Horror-Szenario, das sind Tatsachen. Rauschgifthandel ist nur ein Teil der versteckt praktizierten Milliardenmärkte – tagtäglich verschwinden hunderte und aberhunderte Menschen, für immer unauffindbar. Und in den Favelas und Slums und Ghettos wird nicht allzu lange nachgeforscht, letztlich sinnlos  – dies geschieht dort seit Jahr und Tag, immerzu!  Wer soll sie auch suchen oder ernsthaft ermitteln, wo gut geschmiert wird ist das Teil der Organisation. Das läuft alles auf  besten Vertriebswegen. Die Aus- und Einfuhr von Organen, der „akribische“ Papierkram, das ist doch für Verbrecher-Organisationen kein Problem!

   Und nun von der Spenderseite zu den finanziell starken Empfängern. Herzanrührend, wenn die Rettung ansteht, natürlich – zunächst muß das ersehnte Teil eingesetzt werden, in der heutigen Maschinerie schon fast ein Klacks, die Folgeprobleme bleiben erst mal außen vor. Wer fragt schon lange, wo das alles auf einmal herkommt. Die verzweifelten Menschen wollen es doch gar nicht wirklich wissen. Sicherlich ein Unfallopfer, unabwendbar – das kommt immer gut, wer will in dieser Lebenssituation noch die Rettung hinterfragen.

  Meine spezielle moralische Hürde ist noch anders: Ich könnte nur weiterleben, wenn jemand anderes dafür stirbt, auf welche Art und Weise auch immer. Mal ganz legal ein Unfallopfer zugrundegelegt – ich warte also händeringend darauf, daß jemand den Löffel abgibt!!! Für mich. Allein diese Hürde könnte ich nicht nehmen. Ich könnte nicht die Achseln zucken „Jaja, traurig, schon wahr, aber ich konnte doch den Tod dieses bedauernswerten  Unfallopfers nicht verhindern – aber dieser Mensch kann mein Leben retten!“ Und gut is. Leben um jeden Preis?

   Es gibt den Zufall, es gibt die Bestimmung, ein großer Diskussionsbereich: Aber es ist mein Schicksal, wenn ich ein Todeskandidat bin – und wenn nur eine Verlängerung meines Lebens über die Spende eines anderen möglich wäre – nein danke, ich akzeptiere mein Los. Und sagen Sie bitte nicht, ich sei jetzt schon herzlos. Ich will kein anderes.

   Auch hier trifft für mich wieder eine meiner wichtigsten Lebens-Maximen zu:

Der Mensch muß nicht alles machen, was er kann!

 

Eine kleine Auswahl der Bücher von Warnern und Mahnern:

* Der entseelte Patient, Herzloser Tod

**Das Mordsgeschäft, Sterben auf Bestellung, Spenden was uns nicht gehört, Das Geschäft mit dem Tod, Organspende (Die verschwiegene Wahrheit)

Freitag, 26. Juli 2013

Ess-Kultur


ESS-Kultur

Nun heißt es schon bald wieder … nach dem Urlaub. Und dann wird besonders in der kühlen und dunklen Jahreszeit häufig das Ausland im eigenen Umland besucht, Taverne, Pub, Pizzeria und so. Damit die Gefühle wiederbelebt werden, reaktiviert der Ex-Urlauber die Kenntnisse der Sprache, er und sie grüßen und speisen und trinken und verabschieden sich herzlich in deren vermutetem Idiom. Und dabei juckt es kaum, daß üblicherweise Balkanländer unter sich Personal ergänzen, Italiener und Spanier, Engländer und Iren, Asiaten sich großräumig um ihre Sollstärke bemühen. Wer sollte es hinterfragen, labt man sich doch nun kulturell bemüht. O Gott, sind wir nicht global? Ich weiß nun nicht, ob man sich in afrikanischen Gaststätten Kuskus von Hand einführt, aber Stäbchen in asiatischen Stuben - ein MUSS! Und mit ein wenig Übung geht das auch – aber warum eigentlich? Die wahren europäischen Artisten bringen eigene Hölzchen mit – ich habe noch nie in ein Lokal mein Besteck mitgebracht; aber sage niemals nie. Die per Taxe überbrachte Sushi-Auswahl, auch in den eigenen Wänden stilistisch einwandfrei zu goutieren (und Üben, Üben, Üben!), na klar, wer kann der kann. Beim Reis wird es schon prickelnd, eine europäische Jonglage – denn den Napf direkt an die Unterlippe, das ist hierzulande wiederum …ach ja. Für meinen Teil reicht doch die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Gericht – wieso sollte ich auf unser Besteck verzichten? „Ein Stilbruch“, höre ich allenthalben, das kannst Du doch nicht machen! Gut, ich war nie in Asien, schlechtes Beispiel. Aber Sie verstehen sicherlich meine gefühlte Bedrohung …
  Auch hierzulande gibt es bedenkliche Eigenarten: von sich weg suppen, die Unterseite der Gabel behäufeln. Als fein gilt es, sich das Butterbrot mit Messer und Gabel munden zu lassen. Eine affektierte Dame beobachtete ich mal über alle Maßen amüsiert, als diese ihr gut und fein belegtes Brötchen traktierte – mit dem Eßbesteck! Trotz der gezickt abstehenden kleinen Finger war es auch für sie kein leichtes Unterfangen, aber beharrlich zog sie diese Nummer durch, köstlich. O wie schade, ich sähe sie gerne mit eigenem Besteck bei diesen McBurgers oder so.

  Die große deutsche Philosophin Martha Becher, also meine Oma, pflegte den Ausspruch: Wenn wir Dich und den lieben Löffel nicht hätten, müßten wir die Suppe mit der Gabel essen. Vielleicht ist das aber irgendwo so üblich? Das müssen dann schleunigst die willfährigen Sympathisanten praktizieren, da hege ich keinen Zweifel.

  Kurzum, was ich damit sagen will und wofür ich plädiere: Für mich gehört die Klappstulle in die Hand, das ist mehr als Nahrungsaufnahme, das ist auch Nostalgie, mein Wiedererleben der Kindheit. In manchen Häusern wurden diese großflächigen Scheiben nicht mittig geteilt, die Kinder balancierten diese flatschigen und gottlob großzügig beschmierten „Brote“ über den Handrücken hinaus. So sind wir aufgewachsen, das ist unsere Eßkultur. Die Alten schnitten sich Häppchen zurecht, die sie natürlich von Hand mümmelten – sie wußten, was sie taten.

  Aber das Abenteuerliche wird oft zu dubios nachgeäfft, dann wird daraus eine ES-Kultur: Nicht nach ihm und nicht nach ihr! Albern irgendwie.

Freitag, 19. Juli 2013

Pamplona


Pamplona

Vielleicht ist der Ort gar nicht so übel – der Name allerdings bürgt für fragwürdiges Brauchtum. Natürlich, wie jedes Jahr: Nun rennen sie wieder, die Helden spanischer Art, vor allem, geschäftsträchtig geschürt, unter internationaler Beteiligung. Völlig aus dem Häuschen, aufgekratzt und selbstbefeuert, Hemingway* sei es gedankt – Adrenalin-Junkies mit teilzeitig ausgesetztem Resthirn. Unter Applaus der johlenden Menge wetzen Alt und Jung um ihr Leben (was für ein Leben ist das eigentlich?). Und manchmal erwischt einer der ohnehin dem Tode geweihten Jungstier auch einen der vor ihnen fliehenden Schwachköpfe. Das wäre es allerdings, was ich mir gerne vor Ort anschauen würde – dem Fernsehen sei es gedankt, diese Momente werden jährlich festgehalten, wenn ein aufgebrachter Stier so einen Hanswurst durch die Straße schleudert, diesen Jämmerling der Hose beraubt, egal, wieviele Kaschper ihn abzulenken versuchen. Schade ist, daß sich so ein traktiertes Arschloch bei Überleben sein erbärmliches Leben lang als toller Hecht fühlen wird ob der Blessur-Orden, mit stolzgeschwellter Brust womöglich Narben und Verstümmelungen vorweist.
   Es passiert aber einfach noch zu wenig, finde ich, bis man sich vielleicht über die Geschäftemacherei hinaus besinnt, eventuell die Spielregeln zu bedenken. Den ganzen Irrsinn mal hinterfragt und nicht mit Traditions-Gewäsch daherkommt. Die Sanitäter und Ärzte und Operateure haben viel zu tun – wie fühlen die sich bei diesen künstlich inszenierten Rettungs-Anlässsen? Zahlen das gar die Krankenkassen? Das wäre schon mal der allererste und übelste Skandal. Neben der Tierquälerei.

   Tradition, schallt es immerfort – ich kann das nicht mehr hören. Bei den alten Indianerkulturen waren Menschenopfer traditionelle Riten – bei lebendigem Leib den Opfern das Herz herausschneiden. Gilt doch meines Wissens heute nicht mehr (außer bei den dubiosen Praktiken der Organbeschaffung – dazu demnächst mal mehr). Das alles beherrschende Geld erhält heutzutage hier wohl die sonderbaren Bräuche. Tourismus! Dann aber doch bitte fair sein: Der Stier, der einen der Wichtigtuer erwischt, sollte der hinterhältig feigen Schlachtung mit Bravour entgehen und überleben dürfen – wie eine heilige Kuh in Indien sollte er nach meiner Auffassung freies Geleit auf Pamplonas Straßen haben – und der Reiz bliebe das ganze Jahr erhalten! Der Stier als Jäger – auch nicht schlecht.

   Meine Lieblings-Filmsequenz aus einer StierKAMPF?arena (doch wohl eher Tierquältheater!): Vor seinem absolut gewissen Tod sprang mit ungeahnter Kraft letztes Jahr ein Stier in die Zuschauer-Ränge! Mein Gott, hat mich das begeistert, wie er die Menge der blutrünstigen Gaffer zur kreischenden Panik-Meute aufmischte – ganz großes Kino. Das war mal ausgleichende Gerechtigkeit – wer sich in die Gefahr begibt … DER war wirklich ein ganzer Kerl, der um sein Leben kämpfende Stier – und vor dem habe ich allergrößte Hochachtung.

 *Ernest Hemingway hat fraglos ganz große Romane hinterlassen – aber wie es bei so großen Könnern ist: Sie sind sogenannte Fachidioten! Schreiben, das konnte er, aber dahinter stand eine für mich völlig verkorkste Persönlichkeit – ein geradezu peinlich verwirrter Selbstdarsteller mit einer seltsamen Lebenseinstellung. HINTERFRAGT DIE HELDEN!

Freitag, 12. Juli 2013

Unter Leuten 1


Flohmarkt

Oder Trödelmarkt, oder gar „Antikmarkt“ – der Begriff kann schnell gewagt sein, wenn man so näher hinschaut, was sich Leute trauen, zum Verkauf anzubieten. Aber unterhaltsam ist es allemal. Schon gerade wenn das Wetterchen mitspielt, ist so ein Bummel angesagt. Ich kenne die Märkte meiner Region – bei manchen war ich zweimal: ein erstes und ein letztes. Aber dann die, dich mich jedes Jahr oder regelmäßiger anziehen: Die es mir wert sind!

   Stände von und mit Familien sind mir am liebsten, aber die „fliegenden“ gewerblichen Händler –was haben diese Murks-Anbieter dort eigentlich verloren?- egal, ich eile vorbei – von Buchkarton bis zu Buchregal, alles andere überschaue ich grob. Mit dabei habe ich meine ewige Suchkladde, eine aktuelle Strichliste, grob sortiert, wonach ich noch schaue und vor allem, was mich interessiert und ich noch nicht habe. Was schon gelesen, weiß ich, was aber vorrätig daheim auf Halde liegt, ist mir nicht so präsent – ich habe schon fünf Kartons mit Doppelkäufen – aber bei 50 Cent bis zu 1,50 bei neuwertigen Taschenbüchern und Gebundenes von 1 bis 3 Euro – kein Verlust, nur eine Art Übergang.

   Die Familiengemeinschaften sind es, die oft die Bücher von Onkel Egon oder Oma Erika verscherbeln. Kess ist es, wenn ich gefragt werde, was ich denn suche – und das, wenn eine schier unüberschaubare Flut von vier bis sieben Bücher feilgeboten wird – drollig. Aber Verkaufsgespräche mit Kindern, von Eltern akribisch und stolz überwacht, die machen Laune. Dann zücke ich mein Ringbuch und zeige auf Listen, wo es unter hunderten gestrichener Positionen ungezählte offene gibt. Nein, selber suchen ist doch der Pfiff bei der Sache, vor allem das Auffinden. Aber wenn es gänzlich unnötig  erschwert wird, dann ist es ein Abwägen: Soll ich wirklich in der lieblos verstopften Kiste gebückt kramen, mir den Hals verrenken an falsch eingeräumten Buchrücken? Der Knaller letzte Woche auf meinem allerliebsten Markt in Erpel, Osannamarkt: Geschätzte 20 gebundene Bände, mit traumwandlerischer Sicherheit die Beschriftung aller, aber auch aller, kopfüber von einer schon auf den ersten Blick sehr eigenwilligen, verbissen agierenden Frau in hinterster Position für den Interessenten unerreichbar aufeinander geschichtet. Zuerst drehte ich ja noch den Kopf, dann war sie hilfsbereit – und drehte selber, aber nicht die durchaus wohlerhaltenen Bände in die Leserichtung, sondern las persönlich über Kopf die Titel vor. Sie dachte gar nicht daran, das Büchertürmchen einfach mal zu drehen. Selbst mein deutlicher Wink brachte nichts …aber auch keinen Kauf, bei so viel vernagelter Sturheit schon aus Prinzip nicht. Ach wäre das schön, wenn diese halsstarrige Pißnelke (oh Pardon, auch für einen giftzwergMÄÄN zu ehrlich) das jetzt läse…

   Handeln bringt auch nur bedingt Spaß. Ein Beispiel: Ich hatte schon ein Dutzend Taschenbücher, durch die Bank völlig neuwertig, will sagen geradezu ungelesen, an verschiedenen Ständen für 50 Cent oder dickere Ausgaben für einen  Euro gefischt …und dann geriet ich an so einen dreist-bräsig-behäbigen Knallchargen  und der wollte für ein angefleddertes, völlig abgegriffenes Bändchen „zwo fuffzisch“ kassieren … tja, dann beginnt bei mir noch nicht mal das Feilschen.

   Die Nase macht es auch, ich glaube, Sie können es deutlich herauslesen. Es gibt „sone und sone“ – und ich kaufe lieber teurer bei einer bezaubernden, quickfröhlichen Jungmaid als bei einem muffigen, vergrätzten Stinkstiefel, auch wenn der „halb geschenkt“ anbietet. Man gönnt sich ja sonst nichts, sagte damals Onkel Strack.

   Nun fehlt mir nur jemand, der Lust hat, mit mir einen Stand zu betreiben, denn ich habe doch noch die besagten fünf Kartons! Am liebsten in Gesellschaft eines putzmunteren Mädels – den Muffkopp mache ich persönlich. Es könnte ja einer wie ich vorbeikommen, und dann stünden die Verkaufschancen letztlich doch ganz passabel!

Mittwoch, 3. Juli 2013

TdF


Meine Tour der Leiden

Alle Jahre wieder: Nun rollt sie seit dem Wochenende, die Tour-Karawane. Dieses Jahr ab Korsika (herrliches Eiland – wunderschöne Aufnahmen aus der Vogelperspektive), seit gestern weiter auf dem französischen Festland – rund durchs Land, traditionell zuletzt Richtung Paris. Drei spannende Wochen, der Höhepunkt für jeden Radprofi, das sportliche Highlight für mich als Zuschauer. Ich bin durchweg Sport-Patriot, allüberall, ist doch eine klare Sache, das muß einfach sein, mitfiebern, die tägliche Übertragung, Beine hoch, genießen*! Wie hat es dieses Jahr wieder toll für UNS begonnen – das Neutalent Marcel Kittel gewinnt den Auftakt als grandioser Sprinter – und holt sich das Gelbe Trikot des in der Gesamtwertung Führenden. Wundervoll.

   Und was habe ich schon mit gebangt, in diesen vielen Jahrzehnten. Ganz persönlich  sah ich sie auch schon, als sie auf deutschen Straßen fuhren – auch Wegstrecken, die ich selber kenne und geradelt bin. Ein erhebendes Gefühl für jeden, dessen Herz mitschlägt. Zudem verbringe ich seit 40 Jahren den 1. Mai  in Frankfurt (ehemals nannte es sich „Rund um den HENNINGERTURM“) und habe sie hautnah miterlebt, die meisten der Weltstars ihrer Zeit (Eddy, Francesco, Didi), ich habe sie „live“ gesehen. Der Duft von Kampfer in der Luft (Einreibe für die rasierten Beine), das Sirren der Laufräder, das Klicken der Schaltungen, die aufgekratzte motorisierte Begleitung, die drei Hubschrauber, die Armada der Weltpresse, die Hektik des Renngeschehens. In aller Frühe der kunterbunte blütensaubere Start von hunderten Fahrern und am fortgeschrittenen Nachmittag die Rückkehr einer öfters grauen Masse des stark dezimierten Hauptfeldes, geschundene Körper, die am Feldberg wieder Schneeregen hatten und nun mit letzter Kraft in den entscheidenden Rundkurs einbiegen. Darüber wäre allein eine Kolumne angezeigt, mache ich auch mal, was habe ich doch alles schon miterlebt: Siegreiche Glückseligkeit und sportliche Desaster. Anfangs mit meinem Vater – 1970 unser Auftakt: Rudi Altig gewann. Zum vollkommenen Glück für meinen Vater war als Ehrengast Sepp Herberger da – um der Öffentlichkeit seinen Nachfolger, Helmut Schön, vorzustellen. Und der saß dann später auf der Bank neben meiner Mutter vor dem Café, dem Trubel der Hunderttausenden entrückt – wir dachten, wir träumen das nur. Dazu ein anderes  Mal mehr. Nun heißt es wieder mal an der Glotze tagtäglich für mich: Tour de France. Was habe ich sie alle verehrt, die großen Stars der Szene**, immer unter spezieller Berücksichtigung meiner deutschen Interessen. Und wieviele Kerle sind im Laufe der Zeit in Ungnade gefallen. Was war ich betrübt über Jan Ullrich, was war ich enttäuscht von unserer Telekom-Mannschaft – und dennoch – ich bin meiner Leidenschaft treu geblieben. Ich will es mir nicht kaputtmachen lassen, das ist meiner Gefühligkeit geschuldet.

   Marcel Kittel ist sauber, gewiß (aus bitterböser Erfahrung muß ich leider immer ein wenig Mißtrauen behalten). Gleich am zweiten Tag hat er sich zehn Minuten Rückstand eingehandelt. Hier ist mit Sicherheit kein Doping im Spiel. Er ist ja auch ein Sprinter, er kann eventuell an anderen Tagen wiederholt Etappenerfolge einfahren, warten wir’s ab. Ich befürchte, auch diesmal werden wieder Fahrer auffliegen wie jedes Jahr – manche erst nach längerer Zeit. Mal Hand aufs Herz – bei dieser härtesten aller Sportarten (Belastungstabelle beim stern-Test) kann es auch nicht mit rechten Dingen zugehen. Der große Jacques Anquetil räumte noch kurz vor seinem Tod 1987 ein: „Natürlich haben wir mit seinerzeit greifbaren Mitteln nachgeholfen – anders geht das doch gar nicht!“ Seit 1967 versucht man, nach dem bitteren Tod von Tom Simpson diesem Übel Herr zu werden. Es ist ein Wettlauf zwischen raffiniert ausgeklügelten Versuchen und dem „noch nicht nachweisbar“. Die Sportmedizin kämpft mit sich selber.

   Was ist eigentlich mit den anderen Sportarten? Der Radsport muß für die ganze Sportpalette herhalten. Ab und an fallen Spitzensportler auch aus anderen Disziplinen auf und in Ungnade. Vornehmlich aus dem Obstblock, und das undurchsichtige China läßt sich weniger in die Karten schauen – die bösen Geister sind nicht auszumerzen. Da ist guter Rat teuer und wird als solcher auch blendend finanziert. Alles ist heutzutage leider-leider zu einem großen Geschäft verkommen. Und dennoch gibt es ihn, den beinharten beeindruckenden Sport.

   Ich möchte mir dennoch meine Begeisterung nicht abtöten lassen. Helden sind sie allemal, auch unter „Chancengleichheit im Unrecht“. Wenn ich dann immer höre, wie unsere Spitzenkicker jammern, wenn sie noch ein zweites Spiel in einer Woche absolvieren sollen – und zu welchen finanziellen Konditionen. Ein Hohn. Zweimal 1,5 Std. in der Woche. Und hier -nur als Beispiel– 4 bis 7 Std. und das in drei Wochen am Stück, um die 3500 Kilometer mit einem Tempomittel von um die 40 km/h – ein Trainingsaufwand von zig-tausend Kilometern Jahr für Jahr abspulen!*** Jeden Tag aufs Neue die Herausforderung, der Kampf gegen sich selber, die Uhr, die Gegner, dabei eine Mannschaft von aufopferungswilligen Helfern, Wasserträger, Edeldomestiken, die sich aufreiben für ihren Kapitän. Und die breite Menge verdient sich gerade mal so den Lebensunterhalt und die allermeisten Rennfahrer bangen jedes Jahr um einen neuen Vertrag. Das Leben ist nicht fair – und die Sportwelt schon gar nicht.

 

*Und zwar nicht mit Bier in der Hand und einem „nun haut schon rein, Ihr Luschen!“ Ich weiß sehr gut, was da täglich den Körpern abverlangt wird. Und ich leide nicht nur bei Niederlagen mit, wie ich Siege mit bejubele – ich empfinde tief mit bangem Herzen, wenn sich unter schlimmsten Sturzverletzungen weitergeschunden wird … Durchhaltewille der verbissensten Art – das sind noch Helden! Aufrichtige Hochachtung.

 

**Herrlich die legendären Namen: der Kannibale (Merckx), der Dachs (Hinault), der Adler von Toledo (Bahamontes), der radelnde Mönch (Bartali), der Bergfloh (Kunde), der Pirat (Pantani), der Gorilla (Greipel) u.v.a.m.

 

***Bald rufen die Pässe in den Alpen und Pyrenäen, manchmal drei am Tag, Temperaturschwankungen von 20 und mehr Grad, tolldreiste atemberaubende Schußfahrten mit bis zu 100 Stundenkilometern – und immer wieder die besondere Herausforderung: In der Höhe das Spalier der beinharten Fans, tausende Radsport-Verrückte, mitunter abstrus maskiert, warten unzählige Stunden für Sekunden der Vorbeifahrt ihrer Gladiatoren – und dann drehen sie durch, rennen bergan neben ihren Idolen mit, verengen die Fahrspur, daß die Gasse zwischen den am Rande des Wahnes lavierenden irre Gewordenen kaum auszumachen ist – das fürchten die Fahrer, aber niemand möchte sie missen, diese spektakulär tosende Kulisse.