Meine Tour der Leiden
Alle Jahre wieder:
Nun rollt sie seit dem Wochenende, die Tour-Karawane. Dieses Jahr ab Korsika
(herrliches Eiland – wunderschöne Aufnahmen aus der Vogelperspektive), seit
gestern weiter auf dem französischen Festland – rund durchs Land, traditionell
zuletzt Richtung Paris. Drei spannende Wochen, der Höhepunkt für jeden Radprofi,
das sportliche Highlight für mich als Zuschauer. Ich bin durchweg Sport-Patriot,
allüberall, ist doch eine klare Sache, das muß einfach sein, mitfiebern, die
tägliche Übertragung, Beine hoch, genießen*! Wie hat es dieses Jahr wieder toll
für UNS begonnen – das Neutalent Marcel Kittel gewinnt den Auftakt als
grandioser Sprinter – und holt sich das Gelbe Trikot des in der Gesamtwertung
Führenden. Wundervoll.
Und was habe ich schon mit gebangt, in diesen
vielen Jahrzehnten. Ganz persönlich sah
ich sie auch schon, als sie auf deutschen Straßen fuhren – auch Wegstrecken,
die ich selber kenne und geradelt bin. Ein erhebendes Gefühl für jeden, dessen
Herz mitschlägt. Zudem verbringe ich seit 40 Jahren den 1. Mai in Frankfurt (ehemals nannte es sich „Rund um
den HENNINGERTURM“) und habe sie hautnah miterlebt, die meisten der Weltstars ihrer
Zeit (Eddy, Francesco, Didi), ich habe sie „live“ gesehen. Der Duft von Kampfer
in der Luft (Einreibe für die rasierten Beine), das Sirren der Laufräder, das
Klicken der Schaltungen, die aufgekratzte motorisierte Begleitung, die drei
Hubschrauber, die Armada der Weltpresse, die Hektik des Renngeschehens. In
aller Frühe der kunterbunte blütensaubere Start von hunderten Fahrern und am
fortgeschrittenen Nachmittag die Rückkehr einer öfters grauen Masse des stark
dezimierten Hauptfeldes, geschundene Körper, die am Feldberg wieder Schneeregen
hatten und nun mit letzter Kraft in den entscheidenden Rundkurs einbiegen. Darüber
wäre allein eine Kolumne angezeigt, mache ich auch mal, was habe ich doch alles
schon miterlebt: Siegreiche Glückseligkeit und sportliche Desaster. Anfangs mit
meinem Vater – 1970 unser Auftakt: Rudi Altig gewann. Zum vollkommenen Glück
für meinen Vater war als Ehrengast Sepp Herberger da – um der Öffentlichkeit
seinen Nachfolger, Helmut Schön, vorzustellen. Und der saß dann später auf der
Bank neben meiner Mutter vor dem Café, dem Trubel der Hunderttausenden entrückt
– wir dachten, wir träumen das nur. Dazu ein anderes Mal mehr. Nun heißt es wieder mal an der
Glotze tagtäglich für mich: Tour de
France. Was habe ich sie alle verehrt, die großen Stars der Szene**, immer
unter spezieller Berücksichtigung meiner deutschen Interessen. Und wieviele Kerle
sind im Laufe der Zeit in Ungnade gefallen. Was war ich betrübt über Jan
Ullrich, was war ich enttäuscht von unserer Telekom-Mannschaft – und dennoch –
ich bin meiner Leidenschaft treu geblieben. Ich will es mir nicht kaputtmachen
lassen, das ist meiner Gefühligkeit geschuldet.
Marcel Kittel ist sauber, gewiß (aus
bitterböser Erfahrung muß ich leider immer ein wenig Mißtrauen behalten).
Gleich am zweiten Tag hat er sich zehn Minuten Rückstand eingehandelt. Hier ist
mit Sicherheit kein Doping im Spiel. Er ist ja auch ein Sprinter, er kann
eventuell an anderen Tagen wiederholt Etappenerfolge einfahren, warten wir’s
ab. Ich befürchte, auch diesmal werden wieder Fahrer auffliegen wie jedes Jahr
– manche erst nach längerer Zeit. Mal Hand aufs Herz – bei dieser härtesten
aller Sportarten (Belastungstabelle beim stern-Test) kann es auch nicht mit
rechten Dingen zugehen. Der große Jacques Anquetil räumte noch kurz vor seinem
Tod 1987 ein: „Natürlich haben wir mit seinerzeit greifbaren Mitteln
nachgeholfen – anders geht das doch gar nicht!“ Seit 1967 versucht man, nach
dem bitteren Tod von Tom Simpson diesem Übel Herr zu werden. Es ist ein Wettlauf
zwischen raffiniert ausgeklügelten Versuchen und dem „noch nicht nachweisbar“.
Die Sportmedizin kämpft mit sich selber.
Was ist eigentlich mit den anderen
Sportarten? Der Radsport muß für die ganze Sportpalette herhalten. Ab und an
fallen Spitzensportler auch aus anderen Disziplinen auf und in Ungnade.
Vornehmlich aus dem Obstblock, und das undurchsichtige China läßt sich weniger
in die Karten schauen – die bösen Geister sind nicht auszumerzen. Da ist guter
Rat teuer und wird als solcher auch blendend finanziert. Alles ist heutzutage
leider-leider zu einem großen Geschäft verkommen. Und dennoch gibt es ihn, den
beinharten beeindruckenden Sport.
Ich möchte mir dennoch meine Begeisterung
nicht abtöten lassen. Helden sind sie allemal, auch unter „Chancengleichheit im
Unrecht“. Wenn ich dann immer höre, wie unsere Spitzenkicker jammern, wenn sie
noch ein zweites Spiel in einer Woche absolvieren sollen – und zu welchen
finanziellen Konditionen. Ein Hohn. Zweimal 1,5 Std. in der Woche. Und hier -nur
als Beispiel– 4 bis 7 Std. und das in drei Wochen am Stück, um die 3500
Kilometer mit einem Tempomittel von um die 40 km/h – ein Trainingsaufwand von zig-tausend
Kilometern Jahr für Jahr abspulen!*** Jeden Tag aufs Neue die Herausforderung,
der Kampf gegen sich selber, die Uhr, die Gegner, dabei eine Mannschaft von
aufopferungswilligen Helfern, Wasserträger, Edeldomestiken, die sich aufreiben
für ihren Kapitän. Und die breite Menge verdient sich gerade mal so den
Lebensunterhalt und die allermeisten Rennfahrer bangen jedes Jahr um einen
neuen Vertrag. Das Leben ist nicht fair – und die Sportwelt schon gar nicht.
*Und zwar
nicht mit Bier in der Hand und einem „nun haut schon rein, Ihr Luschen!“ Ich
weiß sehr gut, was da täglich den Körpern abverlangt wird. Und ich leide nicht
nur bei Niederlagen mit, wie ich Siege mit bejubele – ich empfinde tief mit
bangem Herzen, wenn sich unter schlimmsten Sturzverletzungen weitergeschunden
wird … Durchhaltewille der verbissensten Art – das sind noch Helden!
Aufrichtige Hochachtung.
**Herrlich
die legendären Namen: der Kannibale (Merckx), der Dachs (Hinault), der Adler
von Toledo (Bahamontes), der radelnde Mönch (Bartali), der Bergfloh (Kunde),
der Pirat (Pantani), der Gorilla (Greipel) u.v.a.m.
***Bald
rufen die Pässe in den Alpen und Pyrenäen, manchmal drei am Tag,
Temperaturschwankungen von 20 und mehr Grad, tolldreiste atemberaubende
Schußfahrten mit bis zu 100 Stundenkilometern – und immer wieder die besondere
Herausforderung: In der Höhe das Spalier der beinharten Fans, tausende
Radsport-Verrückte, mitunter abstrus maskiert, warten unzählige Stunden für
Sekunden der Vorbeifahrt ihrer Gladiatoren – und dann drehen sie durch, rennen
bergan neben ihren Idolen mit, verengen die Fahrspur, daß die Gasse zwischen
den am Rande des Wahnes lavierenden irre Gewordenen kaum auszumachen ist – das
fürchten die Fahrer, aber niemand möchte sie missen, diese spektakulär tosende
Kulisse.
Ich bekomme es am Rande mit, so finde ich es zwar schon eine absolute Leistung...
AntwortenLöschengeht mir ja hier schon wenn ich die Jungs radeln sehen, und es gibt viel Radsport auf der Insel
...aber mal kurz mitbekommen, informieren war es dann auch schon bei mir.
Wünsche dir aber viele Spaß dabei, genieße die Zeit und fieber ordentlich mit, gelle^^
Liebe Grüssle
oh ja, ich weiß, wie Du immer leidest, denn mental radelst Du ja mit. ;)
AntwortenLöschenWie Du weißt, tendiere ich mehr zum reitsport, doch keine frage, was die radelnden jungs da bringen, ist schon voller körpereinsatz. Im großen ganzen muß ich aber auch da sagen, "sport ist mord!" Wenn ich da an die bergauf-bergab fahrten denke, atemberaubend, dann erst die stürze. Doch, alles in allem, sind schon starke leistungen.
Wenn bei mir da nicht immer wieder im hinterkopf die dopingsache geistern würde .... im sport einfach unmöglich.
Einen schönen tag wünscht,
die andere insulanerin ;)
Ach, Radsport-Bine - was waren das noch Zeiten, als Du mitfuhrst nach Frankfurt - und jedes Mal - IMMER, wenn Du dabei warst - gewann ein deutscher Fahrer! Das hat doch was zu sagen, finde ich - Du bist die Glücksbringerin für den Deutschen Radsport - Punkt.
AntwortenLöschenUm ein Haar hätte ich Dich Onkel Scharping vorgestellt und als Glückfee für uns offiziell empfohlen. Schönen Abend, getreue Mädels!