Telefonitis (Ich hier, wer dort?)
-eine Orientierung-
Meine erste Erinnerung an das Unwesen des Telefonierens geht zurück in die mittleren Sechziger und zum halsstarrigen Bergbaudirektor i.R. Himmelmann, seines Zeichens Nachbar und Telefonbesitzer. Anrufe wurden dort abgewickelt, beteiligt mehr oder weniger alle Häuser im Umkreis von rund hundert Metern. Als ich '69 mich aus der Ferne für die Heimkehr zum Weihnachtsfest per Schienenbus unter schwerem Gepäck (erste selbstverdiente Stereoanlage) ankündigte, vergaß der Herr Direktor die Unterrichtung meines Vaters und Besitzer eines VW-Käfers – und ich schleppte durchs Schneetreiben meine Anlage nebst Reisetasche mit Geschenken und schmutziger Wäsche gefühlte hundert Kilometer vom Bahnhof nach Hause in die Siedlung.
Irgendwann bekamen wir auch ein Telefon, ein grünes, natürlich noch mit Wählscheibe – und Mutter zuckte schreckensstarr zusammen, wenn es klingelte – "Telefon!" – vom Krieg durch die Wohnungsschelle schlimmste Nachrichten gewöhnt, verlor das durchdringend klingelnde Ding nie seinen Schrecken bei ihr. Andererseits erinnere ich mich an Menschen, die kaum vernehmbar ihren Namen wisperten. Oder die Genußtelefoniererinnen –wortwörtlich: stundenlang! Viele Jahre später, beim Verkauf unserer ehelichen Eigentumswohnung Anfang der Achtziger, fragte die Nachfolgerin sofort nach vorhandenen Telefonanschlüssen und maß als allererstes die benötigte Kabellänge vom Flur bis hin zum Nachttischchen.
Im Berufsleben zu Anfang der Siebziger (in der Behörde gab es noch die schwarzen Bakelit-Ungeheuer, wo man zum Ende des Gespräches hin so richtig schön den schweren Hörer auf die Gabel donnern konnte), lernte ich, mich höflich mit Namen zu melden. Da hatte ich Vorbilder wie das betonte Brüllen des langsilbigen „Ses-ter-hau-sen?“ über Akzentuieren auch noch der verborgenen Buchstaben wie „BerleNNNburg?“ oder das empfängnisbereite „Fräulein Schneider, bitte schön?“ – nun gut (privat säuselte die ältere Dame „Ja bitte?“). Mir jedenfalls gefiel von Anfang an nicht das allgemein übliche Heben der Stimme, dieses erwartungsbereite Gehorsam-zur-Verfügung-Stehen – ich mochte es cool (damals kannte das Wort noch kein Schwein): Abfeuern der zwei Silben – „Be-cher“, ohne Anheben. Ich telefonierte von Anbeginn äußerst ungern und das sollte auch zu hören sein. Es spielte hierzu auch meine verwechselungsgeneigte Stimme eine Rolle (sollte ich mit 1,60 Metern wie John Wayne klingen?) Es war wiederholt zur Rückfrage gekommen: „Herr oder Frau?“ Und bei mutiger Anwandlung hatte ich damals noch geziert „Nein, Fräulein bitte“ gewispert, nicht ohne umgehend ein betont herbes Lachen anzuhängen. Aber schlußendlich wollte ich das eindeutig ändern. Die Entscheidung war gefallen: „BECHER!“ Knallhart.
Wenn mir auch selten die Amis imponieren, aber das Aufsagen der eigenen Nummer, das hat was. Wieso sich gleich zu erkennen geben – der andere will doch was! Soll der sich –bitteschön - zuerst melden. Die Falschwähler, die nach meinem derzeit noch erwartungsfreundlich höflichen Melden sofort mit der Frage rausplatzten: „Wat? Wer‘s da?“ und ich mich dann erneut bekennen sollte – ohne mich. Oder das tonlose Auflegen, einfach so. Wenn ich überhaupt annehme, dann reicht ein „Ja – hallo-guten Tag“.
Und überhaupt: diese ungeschriebene Wichtigkeit des Telefons. Hassen Sie es auch, wenn Sie ein Gespräch mit Ihrem Gegenüber führen und dieses beim erschallenden Klingelton des Mistdings sofort von dem Anderen unterbrochen wird – „Moment, bitte.“ Wieso eigentlich? Diese herausragende Bedeutung, dieser ungeschriebene Vorrang – mir ist das unerklärlich, wie manche an das Gerät hasten, überstürzt Gott und die Welt und vor allem mich vergessen, um nur ja aus erstem Ohr zum Beispiel das Angebot für ein neues Zeitschriften-Abo zu erfahren. Lächerlich. Und unsäglich nervig, finde ich.
Und dann kam die Zeit der „Händioten“ – am Gürtel getragen wie einen Colt, durch die Mitte der Geschäftsstraße schreitend, selbstwichtig – für jeden anderen Schwachmaten jederzeit und überall erreichbar sein. Was glauben die, wer sie sind … auf alle Fälle sind es viel zu viele. Nach der Pest der Videotheken und Solarstudios nun das Säumen der Geschäftsstraßen mit Telefonläden. Das sind hierzulande die Pestepidemien der heutigen Zeit!
Hand aufs Herz – Sie haben es gemerkt und ich sagte es bereits - ich telefoniere ungern. Eine Anstellung in einem Callcenter wäre so ziemlich der Gau meiner Vorstellungskraft. Mit jemandem sprechen ohne Gestik und Mimik zu sehen, das ist nicht mein Fall. Der Wortlaut ist nach meiner Lebenserfahrung ohnehin weitgehend zweitrangig, die Körpersprache sagt viel mehr. Also seien Sie nicht böse, meine Nummer nirgendwo zu finden; es fühle sich geehrt, wer über meine Nummer verfügt. ‚Aber mache davon bitte-bitte keinen Gebrauch!‘ Meine E-Mail-Adresse steht ja auf meiner Homepage – und ich antworte, sobald es mir paßt. Ein Dank dem Erfinder –kann nur ein Mann gewesen sein- des Anrufbeantworters! (Der antwortet in Grunde genommen gar nicht – er verhindert aber viele überflüssige Gespräche!) Und das Handy – in Notfällen kann es durchaus nützlich sein, bei mir aber ist es überwiegend beschäftigungslos.
Genug gequatscht. Schreiben wir lieber!
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Oder doch noch mehr lesen? ;)