Sonntag, 26. August 2012

Telefonitis

                            
                              Telefonitis (Ich hier, wer dort?)
                                        -eine Orientierung-

Meine erste Erinnerung an das Unwesen des Telefonierens geht zurück in die mittleren Sechziger und zum halsstarrigen Bergbaudirektor i.R. Himmelmann, seines Zeichens Nachbar und Telefonbesitzer. Anrufe wurden dort abgewickelt, beteiligt mehr oder weniger alle Häuser im Umkreis von rund hundert Metern. Als ich '69 mich aus der Ferne für die Heimkehr zum Weihnachtsfest per Schienenbus unter schwerem Gepäck (erste selbstverdiente Stereoanlage) ankündigte, vergaß der Herr Direktor die Unterrichtung meines Vaters und Besitzer eines VW-Käfers – und ich schleppte durchs Schneetreiben meine Anlage nebst Reisetasche mit Geschenken und schmutziger Wäsche gefühlte hundert Kilometer vom Bahnhof nach Hause in die Siedlung.

    Irgendwann bekamen wir auch ein Telefon, ein grünes, natürlich noch mit Wählscheibe  – und Mutter zuckte schreckensstarr zusammen, wenn es klingelte – "Telefon!" – vom Krieg durch die Wohnungsschelle schlimmste Nachrichten gewöhnt, verlor das durchdringend klingelnde Ding nie seinen Schrecken bei ihr. Andererseits erinnere ich mich an Menschen, die kaum vernehmbar ihren Namen wisperten. Oder die Genußtelefoniererinnen –wortwörtlich: stundenlang! Viele Jahre später, beim Verkauf unserer ehelichen Eigentumswohnung Anfang der Achtziger, fragte die Nachfolgerin sofort nach vorhandenen Telefonanschlüssen und maß als allererstes die benötigte Kabellänge vom Flur bis hin zum Nachttischchen.

   Im Berufsleben zu Anfang der Siebziger (in der Behörde gab es noch die schwarzen Bakelit-Ungeheuer, wo man zum Ende des Gespräches hin so richtig schön den schweren Hörer auf die Gabel donnern konnte), lernte ich, mich höflich mit Namen zu melden. Da hatte ich Vorbilder wie das betonte Brüllen des langsilbigen „Ses-ter-hau-sen?“ über Akzentuieren auch noch der verborgenen Buchstaben wie „BerleNNNburg?“ oder das empfängnisbereite „Fräulein Schneider, bitte schön?“ – nun gut (privat säuselte die ältere Dame „Ja bitte?“).  Mir jedenfalls gefiel von Anfang an nicht das allgemein übliche Heben der Stimme, dieses erwartungsbereite Gehorsam-zur-Verfügung-Stehen – ich mochte es cool (damals kannte das Wort noch kein Schwein): Abfeuern der zwei Silben – „Be-cher“, ohne Anheben. Ich telefonierte von Anbeginn äußerst ungern und das sollte auch zu hören sein. Es spielte hierzu auch meine verwechselungsgeneigte Stimme eine Rolle (sollte ich mit 1,60 Metern wie John Wayne klingen?) Es war  wiederholt zur Rückfrage gekommen: „Herr oder Frau?“ Und bei mutiger Anwandlung hatte ich damals noch geziert „Nein, Fräulein bitte“ gewispert, nicht ohne umgehend ein betont herbes Lachen anzuhängen. Aber schlußendlich wollte ich das eindeutig ändern. Die Entscheidung war gefallen: „BECHER!“ Knallhart.

   Wenn mir auch selten die Amis imponieren, aber das Aufsagen der eigenen Nummer, das hat was. Wieso sich gleich zu erkennen geben – der andere will doch was! Soll der sich –bitteschön - zuerst melden. Die Falschwähler, die nach meinem derzeit noch erwartungsfreundlich höflichen Melden sofort mit der Frage rausplatzten: „Wat? Wer‘s da?“ und ich mich dann erneut bekennen sollte – ohne mich. Oder das tonlose Auflegen, einfach so. Wenn ich überhaupt annehme, dann reicht ein „Ja – hallo-guten Tag“.

   Und überhaupt: diese ungeschriebene Wichtigkeit des Telefons. Hassen Sie es auch, wenn Sie ein Gespräch mit Ihrem Gegenüber führen und dieses beim erschallenden Klingelton des Mistdings sofort von dem Anderen unterbrochen wird – „Moment, bitte.“ Wieso eigentlich? Diese herausragende Bedeutung, dieser ungeschriebene Vorrang – mir ist das unerklärlich, wie manche an das Gerät hasten, überstürzt Gott und die Welt und vor allem mich vergessen, um nur ja aus erstem Ohr zum Beispiel das Angebot für ein neues Zeitschriften-Abo zu erfahren. Lächerlich. Und unsäglich nervig, finde ich.

   Und dann kam die Zeit der „Händioten“ – am Gürtel getragen wie einen Colt, durch die Mitte der Geschäftsstraße schreitend, selbstwichtig – für jeden anderen Schwachmaten jederzeit und überall erreichbar sein. Was glauben die, wer sie sind … auf alle Fälle sind es viel zu viele. Nach der Pest der Videotheken und Solarstudios nun das Säumen der Geschäftsstraßen mit Telefonläden. Das sind hierzulande die Pestepidemien der heutigen Zeit!

   Hand aufs Herz – Sie haben es gemerkt und ich sagte es bereits - ich telefoniere ungern. Eine Anstellung in einem Callcenter wäre so ziemlich der Gau meiner Vorstellungskraft. Mit jemandem sprechen ohne Gestik und Mimik zu sehen, das ist nicht mein Fall. Der Wortlaut ist nach meiner Lebenserfahrung ohnehin weitgehend zweitrangig, die Körpersprache sagt viel mehr. Also seien Sie nicht böse, meine Nummer nirgendwo zu finden; es fühle sich geehrt, wer über meine Nummer verfügt. ‚Aber mache davon bitte-bitte keinen Gebrauch!‘ Meine E-Mail-Adresse steht ja auf meiner Homepage – und ich antworte, sobald es mir paßt. Ein Dank dem Erfinder –kann nur ein Mann gewesen sein- des Anrufbeantworters! (Der antwortet in Grunde genommen gar nicht – er verhindert aber viele überflüssige Gespräche!) Und das Handy – in Notfällen kann es durchaus nützlich sein, bei mir aber ist es überwiegend beschäftigungslos.

   Genug gequatscht. Schreiben wir lieber!

***

Oder doch noch mehr lesen? ;)

Samstag, 25. August 2012

Olympiade 2012


  Oh ja, liebe Freundinnen und Freunde – diesmal habe ich fast alle Liveübertragungen angeschaut. Warum? Weil ich es (mir leisten) kann (gut, das ist jetzt ein wenig abgekupfert vom alten Gag, warum sich der Hund die Eier leckt – weil er es kann, jaja) – aber ich meine das ganze vom Alter her, also das mit dem Sport gucken. Ich habe Sportarten gesehen, von deren Existenz wußte ich nicht einmal – und von ihrer Olympiareife konnte ich nicht einmal etwas ahnen.
   Auf die Abschlußveranstaltung freute ich mich besonders, englische Größen der Rock- und Popszene – und wie viele andere auch, denn ich rechnete mit einem Überraschungscoup der Rolling Stones, die ja angeblich ihr 50. Bühnenjubiläum aufs Folgejahr verschieben wollten. Das haben sie wahr gemacht, sie traten leider nicht auf. Dafür sind mir dann andere ältere Herren im Gedächtnis geblieben – die Juchhu-Hütchen-Träger, die Schiedsrichter. Es waren geradezu ausgesuchte alte Säcke, lauter Zausel und Aufseherinnen, die den britischen Sportsgeist „at it’s best“ verkörperten – und zwar gnadenlos. Gut, ich bin auch schon fast in diesem Altersbereich – aber doch nicht so; ich trage auch nie und nimmer Hütchen! Hatte man ein Casting in den Seniorenresidenzen veranstaltet, war es zwingend, so richtig durch und durch zum Reigen der betagten Schiris zu gehören? Mir kam es so vor.
   Das britische Publikum erwies sich als vorbildlich, erkannte jede Leistung der sportlichen Jugend aus aller Welt an und geriet im patriotischen Taumel schier außer sich – das ist verständlich. Vor allem belegte man nie die Gegner mit Psychoterror, wie es im uns benachbarten Ostblock oder Südamerika Usus ist. Man vergißt ja schnell und zuviel, aber ich habe wenigstens etwas mehr behalten als die überdrehten Mätzchen des (Witz)Bolt – ich sage nur - gut, daß die rote Dracula-Nahrung bis 2016 aufgehoben werden muß – man wird sehen, wie auch beim vor Jahren unmenschlich radelnden Lance Armstrong …
   Aber darum geht es mir hier nicht – unangenehm ist mir die Vielzahl von Fehlentscheidungen der ollen Dackel haften geblieben, bei meinem Sportpatriotismus speziell die Klopper, die sie sich bei der deutschen Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf und der Hammerwerferin Betty Heidler geleistet haben. Die Erstgenannte disqualifizierte man spornstreichs wegen Übertretens der Laufbahn – es hatte sich aber um eine ganz andere Sportlerin gehandelt, ' huch, ach ja, stimmt, kicher, war ja die aus der Nebenlaufbahn' ; und den erfolgreichen Silberwurf der schon länger unglücksgeplagten Betty hatte man irgendwie nicht richtig gemessen. Na ja, kann ja mal passieren – ein britischer Joke sozusagen. Sie sind ja berühmt dafür, die Insulaner. Meine Empörung vor der Glotze eskalierte derart, daß ich hätte spontan mitmachen wollen in der Disziplin „Schiedsrichter-Dauerwürgern“ – und ich hätte Medaillenchancen gehabt, Hand drauf!
   Das Schiedsrichterwesen hat was mit Juristerei zu tun, genau da wollte ich auch hin. Und den Knaben und „Knäbinnen“  widme ich in Kürze eine ganz spezielle Abhandlung – versprochen.

Donnerstag, 23. August 2012

Beamtendasein ....

                               It’s only
                                        Beamtendasein
                                                            but I like it


Über Nacht war der Erfolg da: Von Null auf Nummer Eins war unser Amt als Komet des Jahres in den Charts der beliebtesten Behörden geschossen! Nicht von ungefähr kam dies, denn der neue Gebührenbescheid war der totale Renner.

   Am Morgen ging es schon los. Als wir zum Dienst kamen, hechelten Menschentrauben lechzend an unseren Windschutzscheiben. Der Hausmeister hatte bereits eine Sicherungseinheit der Polizei angefordert, da er alleine nicht mehr den Andrang der überdrehten Masse zurückhalten konnte.

   Als das Amt geöffnet wurde, ging es zu wie beim Schlußverkauf, alle außer Rand und Band. Sie wollten uns Live sehen, wir wären der Top-Act, der Headliner, die absoluten Chartbusters.

   Aber natürlich war dieser Erfolg nicht dem Zufall überlassen worden. Wir hatten genau studiert, worauf die Kids standen, unser Outfit stand und es gab keine unkalkulierten Auskünfte und Abgabenachrichten mehr: Es saß alles nach Maß! Bei einigen der höheren Beamten waren in den Vorgärten schon Fans gesichtet worden, doch man war sich einig, alles nur auf Behördenebene zu vollziehen – Privatleben sollte außen vor bleiben. Dennoch kam es in den Mittagspausen hin und wieder zu dem leicht verunsichernden Effekt: „Da, das ist doch der Oberinspektor, nein, der Hauptsekretär, äh nein, Moment,  den kenne ich wirklich, ja, das ist Regierungsrat Pustelos!“ Dann setzte das Hinterhergeflitze ein, durch Kaufhäuser, an den angesteuerten Imbißbuden vorbei und mitten durch die Parkanlagen.

   In einer Mittagspause hatte sich ein Groupie in meinen Aktenrollschrank einschließen lassen. Als ich erschöpft in meinem Büro ankam, Krawatte, Socken und Manschettenknöpfe als Souvenirs mehr oder weniger freiwillig in der fleddernden Meute am Portal des Amtsgebäudes zurückgelassen, traf mich der Schlag: Das quirlige Geschöpf  wollte ein ganz persönliches Stündchen mit mir verleben und wünschte sich ein Autogramm – mit Dienstsiegel auf die Backen ihres Allerwertesten. Dafür hatte sie schon die notwendigen Vorkehrungen getroffen …

   Irre vor Begeisterung, mich wirklich und leibhaftig vor sich stehen zu sehen, stammelte sie, daß sie meine Verwaltungsakte besonders schätze, gerade der Abhilfebescheid habe es ihr angetan – keiner würde so erotisch stimulierende Formulierungen wie zuständigkeitshalber und ordnungsgemäß wie ich in den Amtsschreiben unterbringen. Der neue Gebührenbescheid sei einfach super, der schlage alles bisher Dagewesene, was sich Behörden sonst so leisten.

   Als ich dann noch meinen Kugelschreiber und eine Handvoll Büroklammern mit auf den Weg gab, verabschiedete sie sich stotternd und mit rotglühenden Wangen: „Daß ich Sie …Sie …Sie so direkt, so unmittelbar, so Auge in Auge, also so vor mir sehen und anfassen, richtig live erleben  durfte, das muß ich sofort meinen Freundinnen erzählen!“ Jauchzend lief sie zum Aufzug und drückte dem Amtsboten, der ihr schreckensstarr im Flur begegnete,  einen sich rot abzeichnenden Kuß auf die Wange.

   Jetzt trage ich mich mit dem Gedanken an eine Solo-Karriere,  vielleicht als Rechnungsprüfer?

   An diesem Abend mußten wir noch zweimal zurück ins Amt und uns am Fenster zeigen, jedesmal ein Aufschrei, ein ohrenbetäubendes Kreischen! Der Applaus, der Ausnahmezustand in der Einfahrt zur Behörde, das Skandieren von „Su-per-amt, Su-per-amt!“ wollte nicht enden.

   Wir hatten es geschafft. Doch der Kampf ist brutal, die Konkurrenz  schläft nicht. Das Polizeiamt plant eine Verordnung nie gekannten Ausmaßes, das Ministerium fühlt sich mißverstanden, denn ohne dessen Verwaltungs-vorschriften und Erlasse wäre es nie zu diesem Erfolg gekommen! Sie alle wollen künftig genannt werden. Der nächste Bescheid wird mit drei Seiten Auflistung von Namen und Dienstgraden ergänzt, die alle irgendwo direkt oder indirekt daran mitgewirkt haben, ähnlich dem Abspann bei Filmen. So ist das mit dem Kuchen, alle wollen sich ihr Stückchen davon abschneiden.

   Eine Tournee durch alle Bundesländer –einschließlich Westberlin- ist geplant, der Innenminister will uns persönlich managen und holt somit den Veranstaltungsmogulen den Wecker aus der Tasche.

It’s only Beamtendasein – but I like it!

Mein BEAT-Problem


                                              Mein BEAT-Problem


In Betzdorf/Sieg bin ich aufgewachsen, ja ehrlich, wahrlich nicht gerade die Metropole zwischen Westerwald und Siegerland, und schon gerade nicht 1967, wohin ich nun zurückschauen werde. Ich war im 16. Lebensjahr – und in Betzdorf weitgehend verloren. Für die Jugend gab es einmal im Jahr das sogenannte Hotte-Bette-Hü-Fest in der Wolfer Halle (Wolf Gartengeräte, kennen Sie doch), ein Beat-Karneval-Nachmittag mit den örtlichen Beatbands. Und da es in der Kleinstadt noch keine Stadthalle gab, fand ab und an im Kolpinghaus ein Beat-Schwoof statt, mit der Band Selection: Gymnasiasten luden zu aktuellen Rhythmen ein. Das war dann die Gelegenheit, einmal ein Mädchen berühren zu können, bei den langsamen Titeln. Ich verpaßte unbeirrt diese Gelegenheit, einmal nachzufassen, was ich so beim Friseur und im Wartezimmer des Arztes in der Neuen Revue unter schwarzen Balken mysteriös aber naseverlängernd angedeutet bekam. Entschädigt war ich durch eine andere Leidenschaft: das Schlagzeug. Und was der Drummer da so zu einem brachial aber gekonnten Wipe-Out zusammentrommelte, das berührte mein Herz erheblich – ein Drum-Solo, das mir den Atem verschlug. Da hielt ich die Luft an,  wenn Baß, Rhythmusklampfe, Leadguitar und Orgel aussetzten, die Typen die Instrumente zurückließen und den Drummer über 10 Minuten alleinließen - und ich vergaß das Atmen: Schlagzeug, das war’s!

 Daheim installierte ich mein Omo-Schlagzeug, benannt nach den praktischen Kartonkübeln, als Trommel geradezu prädestiniert und auch schon so genannt. Hinzu kamen Kuchenbleche, eines mit einem Schlüsselbund belegt, des Snare-Effektes wegen, zu Füßen ein zur Seite gelegter Zinkbottich – das mit dem Fußpedal aus dem Trix-Kasten zusammengeschraubt, klappte gar nicht – so trat ich kurzerhand direkt ins Blech. Und da die schmalen Pinsel aus Vater’s Werkzeugkisten nicht so recht vibrieren wollten, mußte um so zügiger zu den vorhandenen Singles geklöppelt werden. Direkt nach der Schule ins Zimmer, Black is Black, With a girl like you, Early Bird , Summer in the city und Hanky Panky aufgelegt – meine ersten Singles vom letzten Geburtstag Oktober 1966, dann kamen neu hinzu: Stones, Hollies und Equals - und die Nachbarin! Wir wohnten schließlich zur Miete. Die melancholische Frau aus der Wohnung über uns bat, doch wenigstens den Lärm ( LÄRM! )bis 14 Uhr zu zügeln. Meine Mutter versprach es, ich wartete, und wartete und ... 14 Uhr! Feuer frei, das Hausinferno setzte ein. Ich mußte ja schließlich auch noch die MUSIK hören können, von manchen als solche nicht benannt, jedenfalls war es halt ein weniger lauter gestellt. Für meine Eltern kein Problem, eher für den pingeligen Direktor im Ruhestand – aus dem Haus gegenüber. Die Bravo-Bilder an der Wand erklärte er, bei einem Neugier-Hausbesuch, als Strohfeuer, vor meinen Ohren zu meiner Mutter überheblich geäußert. Wäre er nun nicht schon seit weit über dreißig Jahren tot, ich könnte ihm mehr erzählen ...

 Bei den öffentlichen Beat-Schwoofs fielen Worte wie toll, irre, stark „schau“ und vor allem: eine Wucht. Und das sagte ich vom Schlagzeuger immer.

Und dann im Sommer das Schützenfest, mit dem nervigen traditionellem Feine-Pinkel-Umzug der Kleinstadt Honoratioren – jedenfalls der Beat-Nachmittag war im Festzelt das Sommerziel schlechthin. Und 1967 spielte, laut Plakat, eben eine mir nicht bekannte regionale Band. Den Namen habe ich vergessen. Ich war schon beim Aufbau zur Stelle, wie ein klapperiger VW-Bus entladen wurde, Boxen, Verstärker, Kabel und Instrumente reingeschafft wurden, sogar Mädchen packten an, dann wurde alles lautstark angeschlossen, es quietschte, dröhnte, ein One-Two setzte unermüdlich ein, Tonfetzen vibrierten in der Luft. Das Schlagzeug kam, ein Mädchen trug die Trommeln hinein, die Helfer (die noch gar nicht wußten, dass sie Roadies hießen), befestigten die Ständer mittels eingeschlagener Nägel im Holzpodest – gegen selbständiges Fortmarschieren. Und dann wurde das Schlagzeug eingerichtet, will sagen eingespielt – ein Mädchen saß an den Drums! DAS Mädchen!

 Und nun blieb mir doppelt die Luft weg, das war ja unerhört, ja geht das denn überhaupt – toll, irre ...schau – und als die komplette Schießbude stand und alle Abstände passend justiert waren, drosch sie sich ein. Mein armes Herz.

 Ich hatte nicht mehr das Geld für den Eintritt ( wegen aktueller Singles-Käufe war alles fort, selbst die nun benötigten Zwofuffzig ), aber wegen der flirrenden Sommerhitze war die Plane hinter dem Podium hochgeschlagen. Und um 14 Uhr legten sie los ( wohl wie überall ), 14 Uhr erfolgte Freigabe des geordneten LÄRMpegels. Ich habe den Namen vergessen, nicht aber den Anblick der Band – nicht uniformiert, wie so viele in ihren Glitzerjacken und Paillettenhosen – diese hier zogen sich erst gar nicht um – und sie spielten beherzt drauf los, sie begannen mit meiner neuen Lieblingssingle: I’m a believer – und hängten gleich die schlagzeuglastige B-Seite dran: I’m not your steppin‘ stone. Und wie sie sich einhämmerte, diese brünette Mietze, wie sie das Gesicht von der Anspannung verzog ( ich sah ihr schweißglänzendes Gesicht nur, wenn sie sich seitlich zu meiner Richtung drehte - weil da zwischen uns die Stand-Tom-Tom aufgestellt war.

 Ich war begeistert, gebannt – und in der Pause, keine Sau achtete mehr auf Armhändchen oder Stempel auf dem Handrücken, glitt ich mit ins schwüle Getümmel. Ich sah die Band von vorne – und ich gelangte seitlich an das Podest und sah SIE mit den anderen zurückkehren. Sie trug keinen BH .... das T-Shirt war feucht, klebte ...und ohne gebändigt zu sein, schickte sie die kecken Zwillinge auf eine rhythmische Reise der Unruhe. Ich war erstarrt, gebannt schaute ich von den Trommel hoch und wieder kurz runter und wieder hinauf, Schlagzeugerin und Schlagzeug ... es war aufregend, atemberaubend ..es war verwirrend und irritierend und ... es war mein Beat-Problem: Ich wußte in aller Irritation nicht mehr, wohin schauen, ein neuer Konflikt war in mein Leben getreten. Ich sah ein gut geführtes Schlagzeug, ich sah, sicherlich mit offenem Mund, dieses freudig erregt hüpfende Doppel ... und es wurde ein Problem, dieses Beat-Problem, ich war so von den Socken ...

 Und genau betrachtet, habe ich das Problem bis heute nicht gelöst.

Dienstag, 21. August 2012

Bücher, bisher erschienen

 unruhig  (1987)
eine kleine Auswahl Kurzprosa
64 Seiten
  

*****

Zwei in einem B  (1988)
(zusammen mit Marga Bach)
Kurzprosa
 80 Seiten 


*****

Aufzeichnungen eines Nestbeschmutzers
oder...Dichter sein dagegen sehr!  (1991)

Satiren, Gags und Nonsens
aus der Welt der Autoren
76 Seiten 


*****

SaTIEREkon (2002)

(Fotos + Gestaltung: Sabine Paul-Dirksen)

Tier-Satiren
115 Seiten
(vergriffen)

*****

Diese Bücher sind im Selbstverlag erschienen.
Falls Sie eines der Bücher (oder mehr) ;)
erwerben möchten, schicke ich es Ihnen gerne
nach Vorauskasse, auf Wunsch auch signiert, zu.
Alles weitere per e-Mail:
wolfgang@rockera.com


Sonntag, 19. August 2012

Ich bin doch nicht blöd!

Nun weiß ich wirklich nicht mehr zu sagen, wann das angefangen hat. Eines Tages hieß es an der Kasse des Elektromarktes: „Ihre Postleitzahl?“ Ich war in Läden  ja schon viel gewöhnt – Tasche vorzeigen, schlecht entschärfte Diebstahlspieper – das Leben als vermeintlicher Ladendieb, das hatte ich fast verinnerlicht – aber nun das ….
   Perplex meldete ich zunächst gehorsam und korrekt. Schon bald erwachte meine klammheimliche Freude, eine erfundene Zahl anzugeben – und ich erinnerte mich an den guten alten Heinrich Böll und seine Lesebuch-Anekdote aus der Schule: AN DER BRÜCKE/Die ungezählte Geliebte (im Nachkriegs-Köln sitzt ein Invalide  mit einem Zählauftrag an einer Brücke und soll die Passanten für die Statistik zählen  – er macht es in seinem Sinne – er zählt auch alle, außer seiner heimlichen Liebe -  wunderbar). Ich blühte nunmehr in meiner erwachten Begeisterung geradezu auf – und da es im Raum Koblenz stattfand, beginnen die PLZ mit der 5. Also erfinde ich fünfstellige Zahlen mit 5. Schon bald reicht es mir nicht mehr: „Fünfmal die 5!“ „Ach, das ist aber praktisch und gut zu merken.“ Jau, finde ich auch. Dann juckt es mich: “Vierundfünfzig –drei – einundzwanzig“ – ich kaufe öfters CDs und DVDs, ich komme also oft (sehr oft)  – und schon bald stellt eine aufmerksame Kassenfrau fest: „Huch – das ist ja 5-4-3-2-1!“ Genau!!! Die meisten reagieren gar nicht, geben stupide ein, machen halt ihren Job  – ich muß drastischer werden: „Fünfmal Acht!“ „Vierzig," keckert das launige Mädel – "neee – echt jetzt? Ich meine, Sie sind doch öfters hier?“ „Klar, für Euch ist mir der Weg nie zu weit.“ „Ach.“ „Ein bißchen Spaß muß sein“; oh mein Gott – habe ich das jetzt wirklich tiriliert – kann ich nochmal zurück?
   Gut. Eines Tages, und diese Kassiererin hat mal echt Zeit – das gibt es sonst nicht, die Menschen werden hier für meine Begriffe drangsaliert, ein Fall fürs Wallraffen - jedenfalls erklärt sie mir, was ich schon immer geahnt habe – es gehe um das vorgegebene Programm im Computer, sie müsse das doch – und es sei doch letztlich für mich, der Reklamen wegen …und damit langt sie gerade bei mir in die Vollen. Ich helfe also letztlich persönlich nach, immer mehr von diesem Papierzeug zugemüllt zu werden…gut, daß wir darüber geredet haben.
   Die Spitze aber, also derzeit, ist die Frage nach dem Geburtsdatum. Ich fasse es nicht – bisher wurde bei Filmen, die erst ab 18 freigegeben sind, auf einem Kaufbeleg, der eigens dafür gestempelt wurde und den man abzeichnen mußte, versichert, daß man den schon kaufen darf. Nun also nach Behörden Art die Frage: „Ihr Geburtsdatum?“ Jaja, schon klar, heute wegen des Actionkrimis – aber so….
„Ja schauen Sie mich doch mal an – sehe ich aus wie unter 18?“ (Unter uns – ich bin 61 – aber: pssst!) „Ich brauche das hier für das Programm, ist Vorschrift, kommt von oben – also?“ Da hat sie gerade bei mir genau den richtigen Knopf erwischt. Ich frage den gelangweilten Schulanfänger an der Hand seines Vaters hinter mir nach einer Zahl zwischen 1 und 31 – verwirrt schaut er, der Vater nickt ihm zu und lächelt zustimmend; „Vierzehn“ ringt der Kleine sich irritiert windend  ab – „Also den Vierzehnten hätten wir schon mal. Ich stifte den Monat – wir haben August – also 8 – und“ spöttisch grinsend hauche ich zu der unterdessen erblaßten und nur mit letzter Kraft die Wut zäumenden Spitzenkraft des Kassenwesens „das Jahr dürfen Sie bestimmen!“ Sie ist geladen, schon sicherlich vorgenervt von anderen lästigen Personen mit Namen Kunde, und nun ich. Sie tippt was, murmelt davon, sie brauche ihren Job, mache nur, was von oben komme, es sei ihr ja völlig egal, wie das wahre Datum laute und so weiter. Ich bin auch sauer, mein Grinsen gerinnt. Draußen, ja noch am Abend, geht es mir nach – irgend so ein verhinderter Polizist steckt doch dahinter, viel eher noch die Handschrift eines Juristen (ich sehe diese Art windiger Yuppie direkt vor mir mit seiner Krawatte, so ein aalglatter Fuzzi, jung, dynamisch, innovativ - nie ohne Knopf im Ohr), – in anderen Ladenketten geht das alles irgendwie einfacher. Wenn ich da nur an das Umtauschgebaren in diesem roten Etablissement denke – die nehmen hier die Personalien auf wie bei einem Dieb, sagenhaft. Versiegelte Ware zurückgeben wird hier zum Abenteuer – „das Programm verlangt das so“ und sonstige Floskeln dringen an mein erwartungsvolles Ohr. Was für ein unsägliches Kaufhaus. Das gibt es sonst nur noch in den Filialen der blauen Parallelkette, aus gleichem Hause, auch diese, logisch, mit der sich selbst verliehenen Lizenz zur Kundenschikane.
   Beim nächsten Mal begebe ich mich provokant an die Kasse mit der gleichen Natter, grübele, versuche mich betont langsam an meinen Geburtstag zu erinnern („Warten Sie, es war so ein schöner Sonnentag – und ich sagte noch so als erstes zu meiner Mutter… gleich habe ich es …“)  -„Ach wissen Sie was, es reicht, ich kenne Sie schon.“ Voller Verachtung tippt sie ihr großes Geheimnis ein, knallt mir die Tüte neben das DVD-Päckchen, reißt den Geldschein an sich, pfeffert das Wechselgeld auf die Arbeitsfläche und zieht tief atmend einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche, nicht ohne zuvor pflichtgemäß ihr „Schönen Tag noch“ zu zischeln. (Nahrungsaufnahme vor Kunden - ‚Darf die das??? Daß die das darf!!!‘) Ich fürchte, sie hält mich für einen eitlen alten Geck, der tuntig mit seinem Alter kokettiert – den Sinn meines Protestes, den erfaßt sie gar nicht.
  Ich sagte neulich, bei einer anderen professionellen …also Frau an der Kasse, ganz artig das Datum des betreffenden Tages, nur statt 2012 flötete ich „neunzehnhunderundzwölf!“ „Waaaas?“ „Ja, einhundert,  genau heute – aber rüstig – gut gehalten, wie?“ Sie kommen nicht mit, die Damen dort in ihren roten Hemdchen, der Humor bleibt bei solchen Jobs auf der Strecke.
   Einmal bin ich achtzehn – auf den Tag – nach dem Ausweis fragt sie nicht, darauf hatte ich mich eigentlich, ganz ehrlich gesagt, schon so richtig mit schwarzer Seele gefreut…
   Mir geht die Fantasie durch. Ich stelle mir vor, wie ich in den Laden stürme, brettere zu den Filmen, hole todsichere Kaliber à la Das blutige Kichererbsen-Massaker des Todes oder Boah, ich bin ja soooo geil, ey – wetze zur Kasse und hechele volltönend wie ein Marktschreier: „Sie wollen jetzt mein Geburtsdatum, ja? Wollen Sie? Wollen Sie? Heute nehmen wir IHR Datum – Freibrief – los, schreiben Sie schon – nur heute und jetzt in diesem Augenblick, die gaaaanz persönliche Chance für SIE!“
   Nein, mitunter tun sie mir auch leid. Dann möchte ich ein schönes Datum schenken, Valentinstag oder so. „Schreiben Sie was Feines, einfach so, wonach Ihnen ist – und zeigen Sie es denen da oben!“ Ein Kunde ist ja auch nur ein Mensch. Bei Lustlosigkeit greift meine Eins-bis-fünf-Formel – rückwärts die Postleitzahl, vorwärts das Geburtsdatum (12.3.45).*
   Sie sind humorlos, weitgehend. Neuzeit-Opfer der Arbeit sozusagen. Schade. Ach Gevatter Heinrich, hättest Du das noch erlebt …ja doch, nur mit Humor läßt sich manches in unserer heutigen Zeit ertragen, bekämpfen klappt nicht so besonders … also vermeide ich unnötige Auftritte, nur bei unabweisbaren Angeboten fühle ich mich wieder auf den Plan gerufen und bin auch heilfroh, nicht unterdessen beim Betreten des Ladens nach der Schuhgröße zugeordnet zu werden und beim Verlassen des Etablissements sexuelle Präferenzen nachweisen zu müssen. Ich kauf nach Möglichkeit anderswo …
Ich bin doch nicht blöd!



*mein ganz spezielles FISHING FOR COMPLIMENTS………wie jetzt? ‚ich könne  froh sein, wenn ich so alt werde wie ich heute schon erscheine‘- also wirklich! (Gut, ich räume ein, letztes Jahr in Berlin ist in der vollen Bahn ein junger Mann aufgestanden, um mir seinen Platz zu überlassen...seufz)