Nun weiß ich wirklich nicht mehr zu sagen, wann das angefangen hat. Eines Tages hieß es an der Kasse des Elektromarktes: „Ihre Postleitzahl?“ Ich war in Läden ja schon viel gewöhnt – Tasche vorzeigen, schlecht entschärfte Diebstahlspieper – das Leben als vermeintlicher Ladendieb, das hatte ich fast verinnerlicht – aber nun das ….
Perplex meldete ich zunächst gehorsam und korrekt. Schon bald erwachte meine klammheimliche Freude, eine erfundene Zahl anzugeben – und ich erinnerte mich an den guten alten Heinrich Böll und seine Lesebuch-Anekdote aus der Schule: AN DER BRÜCKE/Die ungezählte Geliebte (im Nachkriegs-Köln sitzt ein Invalide mit einem Zählauftrag an einer Brücke und soll die Passanten für die Statistik zählen – er macht es in seinem Sinne – er zählt auch alle, außer seiner heimlichen Liebe - wunderbar). Ich blühte nunmehr in meiner erwachten Begeisterung geradezu auf – und da es im Raum Koblenz stattfand, beginnen die PLZ mit der 5. Also erfinde ich fünfstellige Zahlen mit 5. Schon bald reicht es mir nicht mehr: „Fünfmal die 5!“ „Ach, das ist aber praktisch und gut zu merken.“ Jau, finde ich auch. Dann juckt es mich: “Vierundfünfzig –drei – einundzwanzig“ – ich kaufe öfters CDs und DVDs, ich komme also oft (sehr oft) – und schon bald stellt eine aufmerksame Kassenfrau fest: „Huch – das ist ja 5-4-3-2-1!“ Genau!!! Die meisten reagieren gar nicht, geben stupide ein, machen halt ihren Job – ich muß drastischer werden: „Fünfmal Acht!“ „Vierzig," keckert das launige Mädel – "neee – echt jetzt? Ich meine, Sie sind doch öfters hier?“ „Klar, für Euch ist mir der Weg nie zu weit.“ „Ach.“ „Ein bißchen Spaß muß sein“; oh mein Gott – habe ich das jetzt wirklich tiriliert – kann ich nochmal zurück?
Gut. Eines Tages, und diese Kassiererin hat mal echt Zeit – das gibt es sonst nicht, die Menschen werden hier für meine Begriffe drangsaliert, ein Fall fürs Wallraffen - jedenfalls erklärt sie mir, was ich schon immer geahnt habe – es gehe um das vorgegebene Programm im Computer, sie müsse das doch – und es sei doch letztlich für mich, der Reklamen wegen …und damit langt sie gerade bei mir in die Vollen. Ich helfe also letztlich persönlich nach, immer mehr von diesem Papierzeug zugemüllt zu werden…gut, daß wir darüber geredet haben.
Die Spitze aber, also derzeit, ist die Frage nach dem Geburtsdatum. Ich fasse es nicht – bisher wurde bei Filmen, die erst ab 18 freigegeben sind, auf einem Kaufbeleg, der eigens dafür gestempelt wurde und den man abzeichnen mußte, versichert, daß man den schon kaufen darf. Nun also nach Behörden Art die Frage: „Ihr Geburtsdatum?“ Jaja, schon klar, heute wegen des Actionkrimis – aber so….
„Ja schauen Sie mich doch mal an – sehe ich aus wie unter 18?“ (Unter uns – ich bin 61 – aber: pssst!) „Ich brauche das hier für das Programm, ist Vorschrift, kommt von oben – also?“ Da hat sie gerade bei mir genau den richtigen Knopf erwischt. Ich frage den gelangweilten Schulanfänger an der Hand seines Vaters hinter mir nach einer Zahl zwischen 1 und 31 – verwirrt schaut er, der Vater nickt ihm zu und lächelt zustimmend; „Vierzehn“ ringt der Kleine sich irritiert windend ab – „Also den Vierzehnten hätten wir schon mal. Ich stifte den Monat – wir haben August – also 8 – und“ spöttisch grinsend hauche ich zu der unterdessen erblaßten und nur mit letzter Kraft die Wut zäumenden Spitzenkraft des Kassenwesens „das Jahr dürfen Sie bestimmen!“ Sie ist geladen, schon sicherlich vorgenervt von anderen lästigen Personen mit Namen Kunde, und nun ich. Sie tippt was, murmelt davon, sie brauche ihren Job, mache nur, was von oben komme, es sei ihr ja völlig egal, wie das wahre Datum laute und so weiter. Ich bin auch sauer, mein Grinsen gerinnt. Draußen, ja noch am Abend, geht es mir nach – irgend so ein verhinderter Polizist steckt doch dahinter, viel eher noch die Handschrift eines Juristen (ich sehe diese Art windiger Yuppie direkt vor mir mit seiner Krawatte, so ein aalglatter Fuzzi, jung, dynamisch, innovativ - nie ohne Knopf im Ohr), – in anderen Ladenketten geht das alles irgendwie einfacher. Wenn ich da nur an das Umtauschgebaren in diesem roten Etablissement denke – die nehmen hier die Personalien auf wie bei einem Dieb, sagenhaft. Versiegelte Ware zurückgeben wird hier zum Abenteuer – „das Programm verlangt das so“ und sonstige Floskeln dringen an mein erwartungsvolles Ohr. Was für ein unsägliches Kaufhaus. Das gibt es sonst nur noch in den Filialen der blauen Parallelkette, aus gleichem Hause, auch diese, logisch, mit der sich selbst verliehenen Lizenz zur Kundenschikane.
Beim nächsten Mal begebe ich mich provokant an die Kasse mit der gleichen Natter, grübele, versuche mich betont langsam an meinen Geburtstag zu erinnern („Warten Sie, es war so ein schöner Sonnentag – und ich sagte noch so als erstes zu meiner Mutter… gleich habe ich es …“) -„Ach wissen Sie was, es reicht, ich kenne Sie schon.“ Voller Verachtung tippt sie ihr großes Geheimnis ein, knallt mir die Tüte neben das DVD-Päckchen, reißt den Geldschein an sich, pfeffert das Wechselgeld auf die Arbeitsfläche und zieht tief atmend einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche, nicht ohne zuvor pflichtgemäß ihr „Schönen Tag noch“ zu zischeln. (Nahrungsaufnahme vor Kunden - ‚Darf die das??? Daß die das darf!!!‘) Ich fürchte, sie hält mich für einen eitlen alten Geck, der tuntig mit seinem Alter kokettiert – den Sinn meines Protestes, den erfaßt sie gar nicht.
Ich sagte neulich, bei einer anderen professionellen …also Frau an der Kasse, ganz artig das Datum des betreffenden Tages, nur statt 2012 flötete ich „neunzehnhunderundzwölf!“ „Waaaas?“ „Ja, einhundert, genau heute – aber rüstig – gut gehalten, wie?“ Sie kommen nicht mit, die Damen dort in ihren roten Hemdchen, der Humor bleibt bei solchen Jobs auf der Strecke.
Einmal bin ich achtzehn – auf den Tag – nach dem Ausweis fragt sie nicht, darauf hatte ich mich eigentlich, ganz ehrlich gesagt, schon so richtig mit schwarzer Seele gefreut…
Mir geht die Fantasie durch. Ich stelle mir vor, wie ich in den Laden stürme, brettere zu den Filmen, hole todsichere Kaliber à la Das blutige Kichererbsen-Massaker des Todes oder Boah, ich bin ja soooo geil, ey – wetze zur Kasse und hechele volltönend wie ein Marktschreier: „Sie wollen jetzt mein Geburtsdatum, ja? Wollen Sie? Wollen Sie? Heute nehmen wir IHR Datum – Freibrief – los, schreiben Sie schon – nur heute und jetzt in diesem Augenblick, die gaaaanz persönliche Chance für SIE!“
Nein, mitunter tun sie mir auch leid. Dann möchte ich ein schönes Datum schenken, Valentinstag oder so. „Schreiben Sie was Feines, einfach so, wonach Ihnen ist – und zeigen Sie es denen da oben!“ Ein Kunde ist ja auch nur ein Mensch. Bei Lustlosigkeit greift meine Eins-bis-fünf-Formel – rückwärts die Postleitzahl, vorwärts das Geburtsdatum (12.3.45).*
Sie sind humorlos, weitgehend. Neuzeit-Opfer der Arbeit sozusagen. Schade. Ach Gevatter Heinrich, hättest Du das noch erlebt …ja doch, nur mit Humor läßt sich manches in unserer heutigen Zeit ertragen, bekämpfen klappt nicht so besonders … also vermeide ich unnötige Auftritte, nur bei unabweisbaren Angeboten fühle ich mich wieder auf den Plan gerufen und bin auch heilfroh, nicht unterdessen beim Betreten des Ladens nach der Schuhgröße zugeordnet zu werden und beim Verlassen des Etablissements sexuelle Präferenzen nachweisen zu müssen. Ich kauf nach Möglichkeit anderswo …
Ich bin doch nicht blöd!
*mein ganz spezielles FISHING FOR COMPLIMENTS………wie jetzt? ‚ich könne froh sein, wenn ich so alt werde wie ich heute schon erscheine‘- also wirklich! (Gut, ich räume ein, letztes Jahr in Berlin ist in der vollen Bahn ein junger Mann aufgestanden, um mir seinen Platz zu überlassen...seufz)
Nun lasse ich mich doch auch mal hier nieder und habe schon herzhaft gelacht.
AntwortenLöschenDas mit den Postleitzahlen kommt mir bekannt vor, so kann es hier ebenso passieren das an der Kasse nachgefragt wird. Allerdings ein Geburtsdatum...wow...das ist schon mehr als frech und ich kann mir auch nicht vorstellen das ein Unternehmen auf eine korrekte Antwort bestehen darf.
Jedenfalls klasse gemacht von dir!!!
Herzliche Inselgruesse
Nova