Trash
TV II – Die geile Sache,
bekannt zu sein
(Beate, Ingo und natürlich auch Jens
Büchner)
Alle
Formate aufzuzählen geht ja gar nicht, Gerichts- und Kochshows, Tanz- und Kuppelsendungen,
Autoschrauber, Heimwerker und Beet-Traktierer, Tier- und Medizindokus,
Erziehung von Hunden und Kindern, Suche von Angehörigen sowie Klamotten-, Krösus-
und ProtzTV, die unvermeidliche Katzenberger und die gräßlichen Geissens. Selbstdarstellungs-Gelegenheiten
für jede Art von „So-wie-ich-bin“-Fernsehen. Erlesene Knalltüten agieren für
jedes Genre. Ein weites Feld ( unmittelbar neben dem Acker der C-Promis im
Boulevard-Magazine-Dschungel). Sowas überhaupt nicht schauen: ein Fehler, sage
ich nur – Entdeckungen gibt es zuhauf. Und das machen für mich diese Sendungen
aus, wo es grenzdebilen Akteuren durchaus ansteht, mit Recht vom glotzenden
Restvolk ausgelacht zu werden. Bei mir sind es die Serien-Hits Schwiegertochter gesucht und Goodbye Deutschland – die Auswanderer –
und hier auch nur die ausgemachten Blindgänger: Ladenhüterin Beate mit heftiger
Mutter und Ingo mit seinen schrägen Eltern (beim zweiten stimmt sogar der Titel
der Sendung). Und über allen thronend und phänomenalster Schwachmat „ever,
ever“: der „geniale“, der einzigartige Jens Büchner (von Jens & Jenny) –
einmalig, sage ich nur. Der Vollpfosten in Person. Was für ein verkorkster Typ
(ein Parade-Ossi: alles erwartend aber nichts dafür tun – und vor allem: für
nichts zu gebrauchen, aber rotzfrech an alles rangehend).
Warum ich derartigen Schrott eigentlich
schaue, fragen sich manche kopfschüttelnd. Gaaanz einfach: ich bin Autor – aber
solche flitzpiepigen Leute kann man nicht erfinden, die schenkt einem das
Leben. Über Trailer weiß ich, daß neunzig Prozent der Trash-Formate nicht mein
Ding sind. Auf Beate und auch Ingo stieß ich, als ich die tolle Musik beim
Einspieler hörte: Foolsgarden – und
der Refrain der Lemontree-Gruppe: It’s
just a matter of time (und man wünscht sich, sie würden nie verkuppelt, so
einmalig sind diese Figuren – und die Chancen auf Wunscherfüllung stehen gut –
sehr gut). Hier stößt man immerzu auf Comedians wider Willen, Naturbegabungen
erlesenster Güte. Die klopsige Vera mit ihrer eigenwilligen Hände- und
Arme-Choreographie nenne ich nur mal stellvertretend für all die verzweifelt
agierenden talentfreien „Moderatoren“. Ein Übriges tun die Hausschreiber mit
ihren schwachsinnigen Alliterationen (flotter Fliesenleger, aufreizende
Altenpflegerin). Alberne Autoren, die sich in süffisanten Untertiteln durch ein
dramaturgisch vorgegebenes Script wurschteln.
Zu Malle-Auswanderer Jens, der ein Abo auf
„Depp des Jahres“ bei mir hat: ein Typ ohne Verantwortungsgefühl, der sich
mitunter sogar schameinsichtig gibt, es aber niemals unterlassen würde, Anlaß
zum Hohnlachen zu geben, so ein rücksichtsloser Selbstdarsteller will ja
geradezu gefeiert werden. Er selber findet sich letztlich ganz einmalig – und
da stimme ich auch mit ihm überein, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Diesem unkaputtbaren
Blödian beim Scheitern zuzuschauen, eine Wonne – und der verdient es auch nicht
anders. Er will es so, er bekommt es so. Ich habe auch nicht den Hauch einer
Anwandlung, ihm Gelingen zu wünschen – das verdient er einfach nicht (es kann
auch nach menschlichem Ermessen nicht geschehen – er war nichts, er ist nichts,
er wird auch nichts). Er fühlt sich wundervoll im Rampenlicht (und da gehört
dieser Einfallspinsel auch ein Weilchen hin) – und stolpert von einer Pleite in
die andere Peinlichkeit – ein großartiger Versager, er scheitert himmelschreiend.
Schauen
wir uns doch mal um in diesem Zeitalter der „Fünf-Minuten-Stars“. Das ist durch
Warhol erst benannt worden, seit Jahren ein Zeitzeichen. Leute von heute.
Auffallen um jeden Preis. Der Selfie-Wahn ist nur eine Randerscheinung - keine
Sportübertragung, wo nicht Zuschauer ins Bild drängen, sich selber sehen wollen,
keine ernste Diskussion im Fernsehen, wo nicht grinsende Fratzen sich zum
Im-Bild-Sein drängeln. Selbst Reportagen aus Kriegsgebieten – Menschen wollen
ins Bild. „Zeigt mich, zeigt miiich!“ Merkwürdig. Es scheint aber mal kein
deutsches Phänomen, irgendwie ein Trost. Gewiß, ein Jeder ist einmalig – aber
sich unablässig selber schauen wollen? Wenn ich es richtig beobachte, dann
dienen Schaufenster heute weniger dem Offerieren der Ware – nicht nur Frauen
frönen der Selbstspiegelung. Was für eine Zeit …
Als Autor schaue ich gerne Zuschauern zu,
betrachte das Verhalten der Beobachter … bis ich mich selber hinterfrage, dann
ist es aber auch gut und genug. Ich sammele Augenblicke, speichere Bilder ab.
Praktische Psychologie frei Haus.
Das Leben bietet immer noch die überraschendsten
Geschichten. Doku-Soaps sind ein Teil davon. Zeitvergeudung? Für mich? Oh nein,
also bitteschön! Es ist amüsante Unterhaltung und literarische Recherche in
einem Guß. Wer zurückgezogen lebt, dem wird alles ins Wohnzimmer gesendet,
warum auch nicht. Im wirklich wahren Leben komme ich gar nicht in Berührung mit
diesen „Beaten, Ingos und Jensern“. Ob es ein Segen ist, vermag ich nicht zu
sagen, am Fernseher unterhält es mich wenigstens kurzweilig. Wen das befremdet
…“so what“, wie es heute so schön modern heißt.
Aber das verkneife ich mir nun doch nicht:
Ich bin naturgemäß skeptisch bei Zeitgenossen, die pauschal hierzu die Nase
rümpfen, ausnahmslos ach so weit darüber stehend sich kulturell abgehoben pikiert
geben: Das sind genau die Leute, die ich noch weniger mag! Ja doch – das geht
wirklich. Denn über dieses Volk kann ich nicht mal lachen. Und DIE sind einfach
nur uninteressant und langweilig.