Freitag, 23. Oktober 2015

ZETTEL ÜBER ZETTEL

Tagebuch

(Tag für Tag und Nacht für Nacht – eine Zettel-Bewältigung)

Ich springe mal voll auf die Zwölf: Da die Chancen auf eine Veröffentlichung meiner Tagebücher eher im bescheidenen Erwartungsbereich spielen (man ist seit Jahr und Tag mehr daran interessiert, wann sich Thomas Mann unwohl fühlte und sich einen Tee kochen ließ) – hier ergreife ich als Machthaber über das eingemachte Vermächtnis meines literarischen Unwesens die Gelegenheit, dem Trugschluß vorzugreifen – „es wird so schön gewesen sein “.

Schaffenszeit

   Irrwitzig, wie ich zwischen eins und vier in der Nacht Textfragmente „kalbe“; offiziell um sieben Uhr in der Frühe erwachend einige Zettel auf dem Nachttisch vorfinde und zur Besinnung komme: Der Textverbrecher hat wieder zugeschlagen.

Notlösung

Ich würde so gerne manche Zeitgenossen verprügeln. Kann ich nicht. So bleibt mir nur das Zuschlagen mit Worten.

Herz / Kopf

Der geniale Lyrikband von Ulla Hahn heißt „Herz über Kopf“. Und das ist und soll auch in der Literatur so sein. Im richtigen Leben hätte das für mich fatal geendet. Ich habe seinerzeit nur überlebt, als ich lernte, mit dem Verstand letztlich doch das Gefühl zu beherrschen. Sonst wäre ich längst tot (und hätte die beste Zeit meines Lebensdaseins, nämlich „das Jetzt & Hier“, versäumt).

Warum ich Tiere mehr liebe

Weil ich bei ihnen keine Gegenleistung erwarte – sie SIND die Gegenleistung.

Sommergruß

…and have a nice day – by the Baggersee!

Plumpe Vertraulichkeit


Im Duzen billiger.


Samstag, 3. Oktober 2015

Spaß reicht nicht fürs Leben

Laßt uns froh, gar glücklich sein
( aber bitte nicht bloß „Spaß haben“)

4 (vier) Uhr durch, Käffchen, hilft gegen verspanntes Genick (Kopfweh). Geckolino flitzt über den Küchentresen in volle Deckung. Greenboy hockt noch schlafend auf der Stange – mit den Hühnern hat es auch noch Zeit, First Lady und Hundis drehen sich noch mal um. Weltfrieden scheint also möglich, jedenfalls im Kern.

Ende der Zweisamkeit, wieder mal. Fünf Wochen fliegen schnell durchs Land, alles zurück auf Anfang. Pläne sind geschrieben. Das habe ich schon immer so gemacht – das brauche ich. Das Gerüst fürs Leben, mein Leben daheim. Es gibt kleine Tabellen für das laufende Jahr, große Aufstellungen, was bald zu machen ist („To-Do“-Listen, von mir aus), Tagesplanungen für jede Art von Erledigungsziel und auch Einkaufszettel. Verstehen nicht alle, das muß auch nicht so sein, ein Jeder weiß am besten selbst, was für ihn gut ist. Das hat nix mit „Beamter“ zu tun – das ist ein Haltegerüst – für mich ist nichts vorzuhaben gleich Stillstand – und der kann tödlich sein. Also: Planen. Und kommt es anders als gedacht oder was dazwischen oder geht so nicht – umplanen, ganz einfach. Neue Situation, neue Entscheidung („neue Lage, neuer Entschluß“). Aber niemals ohne vorausschauende Gedanken, was wann und wie laufen sollte – was wirklich wird, das zeigt sich dann. Es gibt wohl auch schlimmere Macken. Nun also in Kürze ein neuer monatelanger Alleingang, ich bin mental bereit.
   Ich war schon mal total am Boden, damals: konnte nicht mehr schlafen, nichts essen, der ganze Körper in Unruhe. Reaktive Depression. nichts ging mehr. Und dahin will ich nie und nimmer zurück! Es geht immer weiter – und das will ich für meine Person mitbestimmen. Auch an sich selber denken muß nicht nur Egoismus sein, es ist natürliche Lebenserhaltung. Eigentlich eine Pflicht. Und das mußte ich seiner Zeit erst lernen.
   Es gibt keine Sicherheit im Leben, keine Garantie auf Erfüllung. Also ist das eigene Zutun gefragt – nichts läuft von allein geradeaus ins Wohlergehen. Glück ist ein schicksalhafter oder zufälliger Moment, aber eine frohe Einstellung kann man lernen. „Positives Denken“, meinetwegen, es könnte schlimmer sein, soweit alles klar. Für - also gegen - das „arme Tier“ reicht das auch. Alternativlos soll es nur in der Politik zugehen, hört man allenthalben. Es gibt immer einen Weg, sogar mehrere, man hat die Wahl …nur nicht dahinvegetieren. Will ja auch kein normaler Mensch freiwillig (Wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her – putzig, fürwahr).
   Hinfallen ist keine Schande – aber liegenbleiben!  Ja-ja. Ohren steif halten, Kopf hoch, zusammenreißen – und dann das Phoenix/Asche Ding als vorausschauende Weisheit. Schon klar. Leichter gesagt als getan – Bla-Bla kann jeder. Ist ja gut gemeint, weiß ich doch. “Schau nicht so böse!“ Ach richtig, ich habe vergessen, das Honigkuchenpferdchen zu satteln, schnell grinsen, nein, besser: Lächeln – so isser gut, brav. Für ein lebendes Smiley Modell stehen, prima – Daumen hoch. Ernst dreinschauen nötigt dem Umfeld ein „Was’n los?“ ab. Braucht kein Schwein. Und wenn nicht nachgehakt wird, sondern der Bogen um einen gemacht wird – nein, nicht gut, das ist schließlich noch viel schlimmer.
   Allein zurechtkommen ist ein Segen. Bitter, wer diese Kurve nicht kriegt. Mit 11 oder 12 hatte ich meinen ersten in Erinnerung gebliebenen glücklichen Moment – Ostersamstag, Balkontür auf, Vogelgezwitscher, milde Frühlingsluft – und vor mir für 25 Pfennige ein Ausschneidebogen – ein Lagerschuppen – Schere und Klebstoff, wundervoll.
   Ein oder auch zwei Jahre später sah ich ein Mädchen, strahlend mit wehenden dunklen langen Haaren auf dem Kettenkarussell (weiße Bluse, blauer Rock, weiße Strümpfchen in schwarzen Schuhen). Unerreichbar, ein süßer Schmerz.
   Oder Jahre zuvor die Glückseligkeit Fahrrad fahren zu lernen. Himmlisch.
   Nach der schlimmsten Lebenskrise, viel viel später dann, das Schmuckbüchlein „Glückliche Momente“ parallel zum umfangreichen Tagebuch angelegt – noch heute trage ich mit Füller besonders schöne Empfindungen ein (in den Neunzigern ganz viel notiert zu allen Jahreszeiten über SaBine & ihre Tiere, Szenen aus besonders wertvollen Tagen). Ich war angekommen in meinem neuen Leben.
   Seit Jahr und Tag meine Lebenshilfsmittel: Bücher, Platten und Filme. Glücksspender allesamt. Ganz bitter, wenn nichts mehr geht. Das darf nie mehr sein.
   Vor diesem neuen Leben mit SaBine lernte ich in einer Klinik: Wenn der „graue Schleier“ über meine Gedanken fällt, gleich drei Dinge spontan benennen, auf die ich mich den heutigen Tag noch freue. Wenn ich nicht in einer Depression stecke, dann sind zwei sofort klar: Essen & Glotze. Und einen habe ich dann noch gut. (Ja, SIE lacht und weiß).

   Was mir grundlegend geholfen hat, ist die Formel aller Selbsthilfegruppen; sie zu beteuern ist das eine, sie zu beherzigen, voll und ganz verinnerlichen wie eine Gehirnwäsche im guten Sinne, das andere – und das bedeutet nicht Empathielosigkeit, wenn man ganz nüchtern betrachtet, welche Aufgabe vor einem steht und wie sie bewältigt werden muß:

Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.



„Ich habe fertig“ – noch eine Mütze Schlaf als Nachschlag – das kann ich mir seit ein paar Jahren erlauben. Und wenn ich nachher offiziell aufstehe, die Kaffee- und Fütterungsrunde eröffne, weiß ich schon jetzt, daß es mir nächste Woche wieder fehlen wird. Aber ich komme ja wieder – wie alles letztlich irgendwie zurückkommt. Bis einmal alles vorbei sein wird – aber bis dahin sind noch viele Pläne und Listen abzuarbeiten.