Weil man das so macht
(die großen Gesten der
kleinen Leute)
Das ist auch nicht ganz neu. Rituale gab es schon immer. Und unkaputtbare Gesten, allen voran die Telefongabel – ja, wir telefonieren dann! Abgespreizter Daumen und kleiner Finger – auch heute noch in den Castingshows die ultimative Aufforderung, doch bitte-bitte für einen anzurufen. Das Handküßchen der Mädels gibt es obendrauf, den Augenknipser der Burschen ebenso. Und vereinzelt schon ganz modern angepaßt, das symbolische Eintippen in die Hand und dann ans Ohr (das erscheint mir durchaus zeitgemäßer).
Oder: Wir sehen uns – zwei dolchende Finger in eigene Augen und die des Gegenübers, im Guten wie im Bösen, freundlich oder feindlich gemeint, alles möglich.
Besonders beliebt in der Sportwelt – das Beißen in die Goldmedaille, das fordern die Reporter immer, ob es der Akteur mag oder nicht, er muß einfach mitspielen – und in der Euphorie des Erfolges wird es auch nur zu gerne getan. Fremdschämen, das muß gar nicht sein – die eigene Verlegenheit der Genötigten reicht schon. Überhaupt suchen die Kameras die lohnenden Schnappschüsse. Gerade der Fußball bietet mit den Rasen-Knie-Rutschern, dem Zickzack-Lauf mit den ausgestreckten Segelarmen, den eigenwilligen Tänzen um die Eckfahne, den stehenden Posen und den jubelnden Grimassen eine Wundertüte aus schier unerschöpflichen Pfründen. Das schaut nicht unbedingt spontan aus, das wirkt eher wie Vorbereitung, Probe und Kalkül. Arschwackler, Trikotschwenkerei und vieles mehr, der blödesten Gestik ist keine Grenze gesetzt. Daumen hoch, klar-doch, das ist doch wohl das Mindeste! Wer bin ich denn, wenn nicht ich!?
Und in der Welt des Films – und gerade der unüberschaubaren Flut saublödester US-Serien, sehe ich es unablässig: Sie beginnen alle mit dem gleich dämlichen Vorspann, daß die Hauptakteure von der Seite oder unten in Zeitlupe cool zum Objektiv blicken, mit starrem Blick um die Gunst der Quotenbereiter buhlen – das macht man so heute, es besteht gar keine Müdigkeit oder gar Überdruß, das noch und nöcher weiterzutun. Alle machen willfährig mit – wir in Deutschland stehen da nicht nach, undenkbar. Und erst die Posen auf den roten Teppichen – die Damenwelt bietet eine Parade der schrecklichsten Selbstverliebtheit – dusseliges Mienenspiel törichter Blicke (fast hätte ich MINE geschrieben – für mich naheliegend – zum „Hochgehen“ finde ich es, immer die gleichen Posen, Bein seitlich ausgestellt, Arm eingestützt, Kopfhaltung schräg geneigt – Schokoladenseite (braun wie Kacke). Aber das machen doch alle, weil man das so macht?!
Aus den gelobten United States kommt es, und mit Jubel-Hurra wird das alles gutgeheißen, Kappe auf den Dez, je schräger und verkehrter, desto besser – und niemals normal gehen, nie und nimmer – Cool ist der schlurfende Gang, Beine träge nachziehen, besonders bei den schnellsten Sprintern macht sich das herrlich, aber auch bei einem lässigen Präsidenten – das hat was – cool, man! Hauptsache entspannt wirken, in der aufgesetzten schlaffen Pose, das ist es – das macht die Show aus. Bein Männern baumeln die Arme relaxt, bei Frauen wird zumindest einer angewinkelt, wie mit Handtasche früher, nur heute ohne – das ist chic, das schlaffe Patschehändchen (immer wieder ein Blickfang für mich, ich komme davon einfach nicht los). Und sie strahlen es alle aus: wer bin ich denn – wenn ich nicht ich bin. Jeder kann alle sein, für auch nur Minuten – der WHO im Wer-ist-wer, oder gut neudeutsch: der WER im Who is who.
In der Rockmusik die Teufelshörner, die Frittengabel (Zeige- und kleiner Finger hochgespreizt) – das ist es, Alter! Das eint uns – wir sind eine Gemeinschaft. Wir machen alle mit, bis morgen früh und trallala (Karneval möchte ich mir hier und jetzt ersparen). Wir sind alle wir, yep.
Ein anderes Mal befasse ich mich mit den ganzen Sprüchen, was man so nachplappert, weil es so üblich ist (Sie wissen schon: Trinksprüche von KOPP IN DEN NACKEN und SO JUNG KOMMEN WIR NICHT MEHR …all das, was so schön gleichmacht und verbindet) – und wir hier unten sagen anerkennend von denen da oben: „Der macht alles mit, der ist einer von uns!“ Und der Chef, der Großkotz, kann sich die Hände reiben – er hat dem Fußvolk verschwörerisch einträufelnd versichert, ganz normal geblieben zu sein. Sie glauben es nur zu gerne. Herrlich, einfach nur schön zu beobachten. Das Wir-Geschmier. Pakt und Bündnis für die, die es glauben.
Pardon, ich kann nicht mehr. Ich muß nun schließen – mir ist schlecht von all den Bildern vor Augen, ich muß kotzen – gaaaanz cool, Leute!