Live
ist (und bleibt) LIVE!
(und
somit waren wir alle dabei)
Außer
Spesen nix gewesen / aus einer Mücke einen Elefanten machen – das
trifft es alles nicht.
Das wäre zeitgemäß zynisch. Gestern* war die Münchener Polizei
(und nicht nur die) zu einer Materialschlacht herausgefordert worden.
Ich sah Sport in der ARD und es lief auf einmal ein LIVE-Ticker, so
ein buntes Band am unteren Rand des Bildes – Schüsse in einem
Münchener Einkaufszentrum. So ging es los.
Es
dauerte nicht lange, da wurde der Sport abgebrochen, die
Live-Berichterstattung lief nach amerikanischem Muster an – ich war
hautnah dabei – auf einmal hieß es: mehrere
Täter, Langwaffen!
– bei RTL sogar schon Zeugenvideos (ein junger Mann ballert vor McD
mit Pistole), und immerzu die Aufnahmen von der unüberschaubaren
Flut der Polizeieinheiten. Für Motive dankbar gehaltene Kameras
rannten mit Kohorten mit, noch lieber zeigten sie eilig bewegte
Menschen, auch durch Uniformen angetrieben, möglichst im Rudel oder
gar in Massen. Das ist alles nicht witzig, aber lädt es nicht
Nachahmer geradezu ein? „Boah ey – was kann ich ganz allein
bewegen – ein Held auch ich, selbst wenn ich im Kugelhagel
untergehe (Mann, toll wie in den PC-Spielen!).“ EINMAL BERÜHMT
SEIN – das Ideal der heutigen Zeit, und dann noch für eine
religiöse Sache – Spitze! Entlohnung wie bekannt.
Stundenlang
hielten Kameras vieler Sender (RTL natürlich, aber auch BR für die
ARD – war ja ihre Sache) – auf unzählige Beamte, jaulende
Einsatzwagen zu hunderten. Jedweder Verkehr wurde unterbunden,
Räumung der betroffenen Gegend – und dazu Reporter, die völlig
aus dem Häuschen berichteten. Ihre Stunden! Alle zehn Minuten eine
Zusammenfassung, damit Neuzuschauer gleich den Faden finden und
mühelos ins Geschehen einsteigen können, immerzu das gleiche
geduckte Herumgehaste, ob in ausladend bepackten Uniformen oder Leute
der Straße mit Kind und Kegel, und vor allem, gerne gesehen,
Präzisionsschützen in Deckung mit Waffe im Anschlag.
Bedrückende
Bilder, verängstigende Mußmaßungen: Terror-Anschlag!
Wie immer IS, na klar! Hektik in der Luft – das sagenumwobene
Kommando GSG 9 auch schon mit Hubschraubern aus dem Bonner Raum
unterwegs – es könnte ja noch eskalieren, verständlich. Alles
wird über zahlreiche Stunden im Minutentakt wiederholt, immer auch
Neuzugänge von Handy-Videos oder apathische Zeugenaussagen
(weiterhin die Rede von mindestens 3 Attentätern, Langwaffen im
Einsatz)! Bei der Vielzahl der akustisch vernommenen Schüsse –
Maschinenpistole möglich! Sich steigernde Außenreporter, geradezu
enttäuscht, wenn Vermutungen sich nicht bestätigten. Und den
ungeschickten Zeugen werden doch die Häppchen schon vorgekaut
nahegelegt... (enttäuschte Sensationslust – das kann doch nicht so
schwer sein).
Stundenlang
bin ich im Bann – Hände vors Gesicht, durch die Finger blinzeln,
das Unfall-Syndrom. Alles menschlich, man versetzt sich rein, man
hätte auch zur falschen Zeit am falschen Ort sein können.
Unvorstellbar – also beinahe, denn hier wird mir nun vorgeführt,
wie es wäre, wenn ich jetzt auch….
Heute
Morgen* – ist es nur zur Beruhigung? – es war also ein Jüngling
deutsch-iranischer Herkunft, nur mit Pistole. So viele Schüsse? Es
heißt, Einzeltäter (weil man die anderen nicht findet?
Polizei-Finte?) – aber ein Blutbad hat er erreicht: noch schwanken
die Zahlen von 9 oder 10 Toten (der Täter ist auch tot, selber
gerichtet – das scheint auch heute noch die Zähl-Hürde zu sein) –
sehr viele Verletzte. Manche in Lebensgefahr. Nix mit Islam – als
seelisch gestörter Amok-Fan ein Breivik-Höriger, irgendwie (genau
vor 5 Jahren war das). Das alles ist absolut ein Desaster, eine
Gräueltat für die Angehörigen – viele werden seelischen Schaden
davontragen durch das Miterleben – Beileidsbekundungen aus aller
Welt häufen sich – machen wir doch auch immer – und leider und
nunmehr auch noch häufiger. „Unsere Gedanken sind jetzt bei….“
Ich
verkenne nicht das Leid der betroffenen Menschen, die Belastung der
Einsatzkräfte, Panik, Schicksal – alles völlig klar. Die
Mobilmachung hat funktioniert, das ist beruhigend – die Opfer sind
zu beklagen, mit den Angehörigen ist mitzuempfinden. Die böse Seite
des Schicksals.
Mich
verunsichert nur der journalistische Umgang mit alledem. Gewiß, wir
wollen sofort und überall und zwar über alles informiert sein, den
Anspruch bringt die heutige Zeit mit ihren Möglichkeiten so mit
sich. Aber es dominiert für meine Eindrücke die Geilheit nach
Sensation, die Öffentlichen wollen um jeden Preis sich von den
Privaten nicht weiterhin die Wurst (oder Käse?) vom Brot nehmen
lassen – ein ganz anderer Kampf ist da entbrannt. Und auch der ist
in meinen Augen schlimm.
*heute
ist gestern vorgestern
**
und heute ist somit….gestern – richtig!