Ich will mich
regelmäßig ärgern
(und das mache ich
auch)
Jedes
geschlagene Jahr tue ich es mir wieder an – unter welchem Namen auch immer
Europa singend zusammenfindet, ich bin dabei ( zwölf Pünkte und so, Sie wissen
schon). Aber dieses Jahr kam es anders – so viele gute Lieder vernahm ich noch
nie! Lag aber auch daran, daß man sich an altem Liedgut vergriff, phasenweise
(z.B. brachte es eine Gruppe fertig, schamlos die Hookline von Steppenwolf’s The Pusher notengetreu einzuarbeiten,
überhaupt, das Wiedererkennen alter Phrasen und Melodieschnipsel würde allein
einen Artikel füllen). Alles im Grunde genommen wie immer, nur noch mehr Zirkus
drum herum. Und der Ostblock schmeißt (das M ist mir zur Rettung noch rechtzeitig
hineingeraten) sich reihum mit Punkten zu, wie immer. Neu ist, daß der Westen
zunehmend die angrenzenden Nachbarn außen vor läßt – man ist bemüht, anders zu sein.
Ach so, anders – Conchita Wurst (und beileibe nicht die Wurst, als HANS oder
in Wahrheit Tom schon eher der, aber
scheinbar wohl am besten DAS). Und damit der Osten mit dem Finger auf den
dekadenten Westen zeigen kann, heißt es von hier: Wir sind aber tolerant! Ja;
es ging um das Wurst, bombastische
Musik, wie für einen neuen James-Bond(chen). Wirklich stark, also akustisch,
sonst eher ein starkes Stücklein.
Mit Elaiza war doch eigentlich der Osten so
schön für uns eingebaut, nix da, im Hinterfeld landeten die drei putzmunteren
Mädels, schade (war aber nur für uns ein Ohrwurm, weil es hier schon ständig
legal beworben wurde). Es gab, ich deutete es schon an, tolle Songs – die
Niederlande mit einem Country-Duo, ein Knaller; die feuchte, oh nein, bitte:
pitschnasse Spanierin sang grandios um ihr Leben, und die frischen Mädchen aus Rußland
mußten den politischen Tribut zollen (traurig für die blonden Zwillinge, aber
der Westen hat Rußland nun mal derzeit auf dem Kieker). Schade drum, so hübsch
das auch rüberkam. Ohne Politikum wäre es ein Song für einen der ersten Plätze
gewesen. Na, und das prallgesunde polnische Leben war lecker anzuschauen. Ein
gewichtiger Problemsong aus Ungarn, sehr überzeugend, ein wahrhaft pfiffiger
Refrain aus der Schweiz; und Malta bot eine für mich mitreißende wahrhaft
un-uniformierte bunte Gruppe auf, ganz herrlich, genau, wie auch Dänemark ein
fröhliches Gehampel bot. Unterhaltung, die es schließlich sein soll.
Fast alle singen seit Jahren auf Englisch,
das ist einfach so. Oder könnten Sie sich vorstellen, die Engländer sängen
deutsch, die Franzosen englisch? Nein. Definitiv.
Der tragikomische Ralph Siegel (Ein bißchen Siegel …) findet immer ein
kleines Land, und klimpert persönlich – es ist seine Welt – und es war sein
bestes Lied seit langem.
Ach ja, das deutsche Rahmenprogramm, seit
ein paar Jahren somit schon fast traditionell auf der verregneten Reeperbahn.
Die dralle Schöneberger moderierte, die schöne Helene vermittelte atemlos die deutschen Punkte, der
näselnde Delay gab die Hütchen-Rampensau - was aus deutschen Landen so kommt.
Der Versuch eines Ausblicks: Wie könnte man
nach einem bärtig-femininen Wesen in Österreich nächstes Jahr noch einen
draufsetzen? Heraushängende phosphoreszierte Schniedel, die keck im Takt wippen …wie taktlos, aber die Zeit wird
es zeigen. Lassen wir uns überraschen. So vielseitig wie dieses Jahr, das
hatten wir lange nicht. Was für eine Welt – und ich möchte es nicht missen, daß
all dies hier möglich ist. Das macht letztlich auch den Reiz aus.