Mittwoch, 3. Juli 2013

TdF


Meine Tour der Leiden

Alle Jahre wieder: Nun rollt sie seit dem Wochenende, die Tour-Karawane. Dieses Jahr ab Korsika (herrliches Eiland – wunderschöne Aufnahmen aus der Vogelperspektive), seit gestern weiter auf dem französischen Festland – rund durchs Land, traditionell zuletzt Richtung Paris. Drei spannende Wochen, der Höhepunkt für jeden Radprofi, das sportliche Highlight für mich als Zuschauer. Ich bin durchweg Sport-Patriot, allüberall, ist doch eine klare Sache, das muß einfach sein, mitfiebern, die tägliche Übertragung, Beine hoch, genießen*! Wie hat es dieses Jahr wieder toll für UNS begonnen – das Neutalent Marcel Kittel gewinnt den Auftakt als grandioser Sprinter – und holt sich das Gelbe Trikot des in der Gesamtwertung Führenden. Wundervoll.

   Und was habe ich schon mit gebangt, in diesen vielen Jahrzehnten. Ganz persönlich  sah ich sie auch schon, als sie auf deutschen Straßen fuhren – auch Wegstrecken, die ich selber kenne und geradelt bin. Ein erhebendes Gefühl für jeden, dessen Herz mitschlägt. Zudem verbringe ich seit 40 Jahren den 1. Mai  in Frankfurt (ehemals nannte es sich „Rund um den HENNINGERTURM“) und habe sie hautnah miterlebt, die meisten der Weltstars ihrer Zeit (Eddy, Francesco, Didi), ich habe sie „live“ gesehen. Der Duft von Kampfer in der Luft (Einreibe für die rasierten Beine), das Sirren der Laufräder, das Klicken der Schaltungen, die aufgekratzte motorisierte Begleitung, die drei Hubschrauber, die Armada der Weltpresse, die Hektik des Renngeschehens. In aller Frühe der kunterbunte blütensaubere Start von hunderten Fahrern und am fortgeschrittenen Nachmittag die Rückkehr einer öfters grauen Masse des stark dezimierten Hauptfeldes, geschundene Körper, die am Feldberg wieder Schneeregen hatten und nun mit letzter Kraft in den entscheidenden Rundkurs einbiegen. Darüber wäre allein eine Kolumne angezeigt, mache ich auch mal, was habe ich doch alles schon miterlebt: Siegreiche Glückseligkeit und sportliche Desaster. Anfangs mit meinem Vater – 1970 unser Auftakt: Rudi Altig gewann. Zum vollkommenen Glück für meinen Vater war als Ehrengast Sepp Herberger da – um der Öffentlichkeit seinen Nachfolger, Helmut Schön, vorzustellen. Und der saß dann später auf der Bank neben meiner Mutter vor dem Café, dem Trubel der Hunderttausenden entrückt – wir dachten, wir träumen das nur. Dazu ein anderes  Mal mehr. Nun heißt es wieder mal an der Glotze tagtäglich für mich: Tour de France. Was habe ich sie alle verehrt, die großen Stars der Szene**, immer unter spezieller Berücksichtigung meiner deutschen Interessen. Und wieviele Kerle sind im Laufe der Zeit in Ungnade gefallen. Was war ich betrübt über Jan Ullrich, was war ich enttäuscht von unserer Telekom-Mannschaft – und dennoch – ich bin meiner Leidenschaft treu geblieben. Ich will es mir nicht kaputtmachen lassen, das ist meiner Gefühligkeit geschuldet.

   Marcel Kittel ist sauber, gewiß (aus bitterböser Erfahrung muß ich leider immer ein wenig Mißtrauen behalten). Gleich am zweiten Tag hat er sich zehn Minuten Rückstand eingehandelt. Hier ist mit Sicherheit kein Doping im Spiel. Er ist ja auch ein Sprinter, er kann eventuell an anderen Tagen wiederholt Etappenerfolge einfahren, warten wir’s ab. Ich befürchte, auch diesmal werden wieder Fahrer auffliegen wie jedes Jahr – manche erst nach längerer Zeit. Mal Hand aufs Herz – bei dieser härtesten aller Sportarten (Belastungstabelle beim stern-Test) kann es auch nicht mit rechten Dingen zugehen. Der große Jacques Anquetil räumte noch kurz vor seinem Tod 1987 ein: „Natürlich haben wir mit seinerzeit greifbaren Mitteln nachgeholfen – anders geht das doch gar nicht!“ Seit 1967 versucht man, nach dem bitteren Tod von Tom Simpson diesem Übel Herr zu werden. Es ist ein Wettlauf zwischen raffiniert ausgeklügelten Versuchen und dem „noch nicht nachweisbar“. Die Sportmedizin kämpft mit sich selber.

   Was ist eigentlich mit den anderen Sportarten? Der Radsport muß für die ganze Sportpalette herhalten. Ab und an fallen Spitzensportler auch aus anderen Disziplinen auf und in Ungnade. Vornehmlich aus dem Obstblock, und das undurchsichtige China läßt sich weniger in die Karten schauen – die bösen Geister sind nicht auszumerzen. Da ist guter Rat teuer und wird als solcher auch blendend finanziert. Alles ist heutzutage leider-leider zu einem großen Geschäft verkommen. Und dennoch gibt es ihn, den beinharten beeindruckenden Sport.

   Ich möchte mir dennoch meine Begeisterung nicht abtöten lassen. Helden sind sie allemal, auch unter „Chancengleichheit im Unrecht“. Wenn ich dann immer höre, wie unsere Spitzenkicker jammern, wenn sie noch ein zweites Spiel in einer Woche absolvieren sollen – und zu welchen finanziellen Konditionen. Ein Hohn. Zweimal 1,5 Std. in der Woche. Und hier -nur als Beispiel– 4 bis 7 Std. und das in drei Wochen am Stück, um die 3500 Kilometer mit einem Tempomittel von um die 40 km/h – ein Trainingsaufwand von zig-tausend Kilometern Jahr für Jahr abspulen!*** Jeden Tag aufs Neue die Herausforderung, der Kampf gegen sich selber, die Uhr, die Gegner, dabei eine Mannschaft von aufopferungswilligen Helfern, Wasserträger, Edeldomestiken, die sich aufreiben für ihren Kapitän. Und die breite Menge verdient sich gerade mal so den Lebensunterhalt und die allermeisten Rennfahrer bangen jedes Jahr um einen neuen Vertrag. Das Leben ist nicht fair – und die Sportwelt schon gar nicht.

 

*Und zwar nicht mit Bier in der Hand und einem „nun haut schon rein, Ihr Luschen!“ Ich weiß sehr gut, was da täglich den Körpern abverlangt wird. Und ich leide nicht nur bei Niederlagen mit, wie ich Siege mit bejubele – ich empfinde tief mit bangem Herzen, wenn sich unter schlimmsten Sturzverletzungen weitergeschunden wird … Durchhaltewille der verbissensten Art – das sind noch Helden! Aufrichtige Hochachtung.

 

**Herrlich die legendären Namen: der Kannibale (Merckx), der Dachs (Hinault), der Adler von Toledo (Bahamontes), der radelnde Mönch (Bartali), der Bergfloh (Kunde), der Pirat (Pantani), der Gorilla (Greipel) u.v.a.m.

 

***Bald rufen die Pässe in den Alpen und Pyrenäen, manchmal drei am Tag, Temperaturschwankungen von 20 und mehr Grad, tolldreiste atemberaubende Schußfahrten mit bis zu 100 Stundenkilometern – und immer wieder die besondere Herausforderung: In der Höhe das Spalier der beinharten Fans, tausende Radsport-Verrückte, mitunter abstrus maskiert, warten unzählige Stunden für Sekunden der Vorbeifahrt ihrer Gladiatoren – und dann drehen sie durch, rennen bergan neben ihren Idolen mit, verengen die Fahrspur, daß die Gasse zwischen den am Rande des Wahnes lavierenden irre Gewordenen kaum auszumachen ist – das fürchten die Fahrer, aber niemand möchte sie missen, diese spektakulär tosende Kulisse.

3 Kommentare:

  1. Ich bekomme es am Rande mit, so finde ich es zwar schon eine absolute Leistung...

    geht mir ja hier schon wenn ich die Jungs radeln sehen, und es gibt viel Radsport auf der Insel

    ...aber mal kurz mitbekommen, informieren war es dann auch schon bei mir.


    Wünsche dir aber viele Spaß dabei, genieße die Zeit und fieber ordentlich mit, gelle^^

    Liebe Grüssle

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  2. oh ja, ich weiß, wie Du immer leidest, denn mental radelst Du ja mit. ;)
    Wie Du weißt, tendiere ich mehr zum reitsport, doch keine frage, was die radelnden jungs da bringen, ist schon voller körpereinsatz. Im großen ganzen muß ich aber auch da sagen, "sport ist mord!" Wenn ich da an die bergauf-bergab fahrten denke, atemberaubend, dann erst die stürze. Doch, alles in allem, sind schon starke leistungen.
    Wenn bei mir da nicht immer wieder im hinterkopf die dopingsache geistern würde .... im sport einfach unmöglich.
    Einen schönen tag wünscht,
    die andere insulanerin ;)

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  3. Ach, Radsport-Bine - was waren das noch Zeiten, als Du mitfuhrst nach Frankfurt - und jedes Mal - IMMER, wenn Du dabei warst - gewann ein deutscher Fahrer! Das hat doch was zu sagen, finde ich - Du bist die Glücksbringerin für den Deutschen Radsport - Punkt.
    Um ein Haar hätte ich Dich Onkel Scharping vorgestellt und als Glückfee für uns offiziell empfohlen. Schönen Abend, getreue Mädels!

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Danke! ;)