Sonntag, 19. April 2015

Selbsterkenntnis durch einen Liedermacher

Sozialkritik

(Theorie und Praxis an einem kleinen Beispiel)

Der einzigartige und ewig junge Liedermacher Reinhard M. erfreut sich in Deutschland jahrzehntelanger Verehrung. Zu recht. Auch ich huldige ihm. Aber wie wir Deutsche nun mal sind, heben wir Idole auf hohe Podeste und pinkeln daran. Darin sind wir klasse – dazu muß man gar kein Giftzwerg sein.
   Im Rahmen einer seiner Tourneen sah ich ihn in K., er wurde von einem ortskundigen Begleiter durch die Altstadt geführt. Auf einem der Plätze sang ein talentierter Musikus zur leicht verstärkten Gitarre. R.M. schaute kurz an seinem Begleiter vorbei auf den Straßenmusikanten, beide gingen aber ohne Eile weiter. Hach, dachte ich, wohl kein Kleingeld dabei, der Herr Plattenmillionär. Ich war gereizt, dachte aber, halt, kann ja mal passieren. Dann ging er in eine Drogerie, kam mit einem Tütchen heraus. Also doch …
   Es wurmte mich – so fern seinen Anfängen, kein Mitempfinden für den Außenseiter – was er doch lauthals Platte für Platte mit der ihm eigenen Gefühligkeit inbrünstig intoniert…?
   Ich hatte bereits für das Konzert die stattliche Summe entrichtet. Wenn ich es genau bedenke, der Eintritt in die größte Halle der Großstadt kostete soviel wie bei einer Band mit aufwändiger Bühnenausstattung. Er steht allein am Mikrofon, seit Jahr und Tag nur mit seiner Gitarre vor einem Vorhang. Es wurde mir immer sonderbarer zumute. Ich hatte schon vielköpfige Bands mit internationalem Ruf für den halben Eintrittspreis miterlebt. Wie kann denn sowas sein?
   Natürlich ist er immer großartig. Ich kaufe alle seine Platten, seit vielen Jahren sind es CDs – und alle 2 Jahre die Doppelausgabe der letzten Tournee, live.
   Ich muß an Salvatore Adamo denken, das war der mit den Liebesschnulzen (Träne auf Reise schicken und so) – der sagte damals, im Zenit seines Erfolges in einem Interview auf die Frage, warum er keine Protestlieder schreibe: „Ich käme mir sonderbar vor, mit einem Rolls Royce vorzufahren und den Leuten darüber das Leid zu klagen, wie schlecht die Welt ist.“ (Er spielte auf John Lennon an). Wolfgang Niedecken sagte, er sei es leid, immerzu seinen Mercedes rechtfertigen zu müssen. Mir fallen noch viele angebliche Zitate ein, weil es mich unablässig interessiert (und nicht nur der Autos wegen).
   Ich stutze über mich selbst. Habe ich einen Makel gesucht, ha, der ist auch nicht besser! Habe ich es genossen, für mich selbst eine verehrte Person zu besudeln, so richtig  den Deutschen raushängen zu lassen?
   Ich weiß nicht. Es war nur ein kleiner Moment, ob Augenblicksversagen eines meiner Idole oder doch meine tiefe Erkenntnis zu einer großen Lebenslüge. Keiner ist vollkommen, niemand macht alles richtig. Und es ist schlimm, auf Schritt und Tritt von irgendwelchen Schreiberlingen beobachtet zu werden…

   Aber es ist mir in Erinnerung geblieben. Und es hat eine prägende Wirkung, denn immer, wenn ich die neueste Scheibe kaufe, denke ich daran. Alle zwei Jahre kaufe ich die Aufzeichnung eines Konzertes der letzten Tournee. Ich kaufe keine Karte mehr, nie mehr – aber ich lasse mir die tollen kritischen Songs nicht kaputtmachen – auch von ihm selber nicht.

3 Kommentare:

  1. Somit doch eine Selbsterkenntnis, denn was man sieht muss ja nicht zwingend immer so sein oder wo fängt man an und wo hört man auf. Mir gehen da soviele Gedanken durch den Kopf und ich könnte mich darüber nun lang mit dir drüber unterhalten ;-)

    Auch beim Wort Plattenmillionär....wie sahen die Verträge aus, wer hat da wieviel abbekommen...alles Dinge die man nach aussen nicht sehen kann. So denke ich an Rechte die gerade damals doch leichtfertig abgegeben wurden. So manche Künstler bekommen heute bei Downloads um die 0,0015 Cent, da kann man sich dann ausrechnen wieviele Downloads es geben muss. Ach, ich sag ja, ein Thema über das man lange sprechen kann, was ich übrigens gerne mal machen würde....also über Dies und Das mit dir quatschen ;-)

    Übrigens mochte ich R.M. auch schon immer, auch als Kind wo ich aber mehr auf die Musik gehört habe *gg*

    Wünsche dir einen tollen Wochenstart und sende liebe Grüssle

    N☼va

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  2. "Das ist ein weites Feld", wie schon Th. Fontane seinen alten Briest sagen läßt. Du hast genau die Situation unter der hinweisenden Überschrift erkannt. Übrigens äußerte gestern eine mir sehr nahestehende Person (weiblichen Geschlechts, soviel darf ich verraten), unmittelbar vor der Veröffentlichung dieser eigentlichen Tagebuchnotiz: "Vielleicht hatte er auch gerade in dem Moment keine Zeit und brauchte dringend etwas aus der Drogerie ...". Ja, mag sein. Und die Kritik stellt ja auf zwei Beteiligte ab! "Der werfe den ersten Stein..." - nicht wahr? Keiner ist vollkommen, niemand handelt immer unantastbar.Und ich kenne auch keinen Menschen, der alles richtig erkennt (weil es bekanntlich nicht nur eine Wahrheit gibt).
    Eines dürfte heute unbestritten sein - es wird hier in Old Germany ein richtig schöner Tag (vom Wetter her). Den Rest füge ich selber hinzu - einen schönen Tag auch für Dich, und danke, Nova.

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    1. Genau so ist es, ebenso wo fängt man an wo hört man auf (beim Kleingeldeinwurf), dazu dann auch noch der sogenannte Promistatus...möchte man immer um ein Autogramm gefragt werden. Diese Situationen stelle ich mir auch nicht einfach vor, denn wie sowas enden kann weiß man ja ;-)

      Klasse mit dem schönen Wetter, dann hoffe ich auch dass das Drumherum heute bei dir und für dich schön wird

      *winke*

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Danke! ;)