Heiliger Sankt Florian
Teil 2
Es kam schleichend – erste Bilder in den
Wochenschauen erwärmten uns die Herzen und öffneten die Geldbörsen, erschütterte
Urlauber betätigten sich am goldenen Sandstrand gnädig und betroffen angefaßt als
Betreuer einiger dunkelhäutiger Schiffbrüchiger, verständlich mitfühlend, gaben
Wasser-Flaschen und so weiter – alles ergreifend und „voll gut“. Menschen
wollen Menschen helfen, wenn sie schon mal dicht dran sind, wenn sich Armut
direkt vor ihren Wohlstandsaugen offenbart – wir meinen es doch nur gut. Es
werden von den unmenschlichen Schlepperbanden (wo verstecken sich die
skrupellosen Drahtzieher?) marode Boote der unberechenbaren See führungslos
überlassen (fünfstellige Summen pro Nase sind ja eingesackt – wo kommen solche
Beträge bei brotlosen Menschen eigentlich her?) – es gibt viele
Sisyphus-Aufopferer, die von da ab sich nimmermüde unablässig bemühen. Es ist
ja vor unserer Tür, das sehen wir alle (eine viel größere Zahl Menschen kommt
neuesten Medienberichten zufolge bereits bei der ebenfalls teuer bezahlten
Wüstendurchquerung Nordafrikas ums Leben, aber hier sieht man es nicht so
direkt). Und wie geht es weiter? Jetzt sind sie hier, sie kommen (auch) aus Kriegsgebieten
und aus Elendsvierteln. Sie kommen unaufhaltsam, immer mehr und mehr, zu Land
und über Wasser – und immer schneller! Sie stürmen Zäune und Palisaden, und sie
sind voller verzweifelter Kraft. Die stärkeren Jüngeren sind bloß die Vorhut,
sie alle haben nichts zu essen, aber Handys (um die Nachhut auf dem Laufenden
zu halten) – und die Gutmenschen überschlagen sich und können alledem nicht
mehr Herr werden.
Der neueste Society-Chic kommt auf: Kühne
Vorreiter holen sich einen „Alibi-Neger“ ins Haus (na, nicht direkt, in so ein
Zweithaus halt), oh mein Gott, wie vorbildlich gut sind wir doch! Der Ansturm wächst
viel schneller, als Asylanträge bearbeitet werden können, selbst die von vorn
herein sinnlosen unserer Nachbarn vom Balkan. Aus eigener Erfahrung kann ich
mir bestens die hoffnungslos überforderten Amtsstuben vorstellen – sie müssen
ausbaden, was andere anrichten, „nach Recht und Gesetz“ – schräg-nervöse
Vorgaben, kein Ermessen. Die Notlage läßt Normen purzeln – aufregend ist das
alles (Verordnungen werden angepaßt – seltsam, sonst geht das nicht). Aufschrei
nach Geld, nach Raum und Unterbringung – es ist wie eine Lawine: Man muß nur
mal genau hinschauen, einfach nur mal bei uns: die Hilflosigkeit von Gemeinden,
Ländern, dem verzweifelt regierenden „Bund“. Zeltstädte in Bereichen der
Kommunen, wie organisierte Neu-Slums – wie gut, daß kein Winter ist! Es ist
noch Platz da, fallera – und überhaupt: Wir sterben doch ohnehin aus! Heißa,
wir tanzen auf dem rauchenden Vulkan! Berliner Ringelreihen: ach wie gut, daß
wir nicht ans Mittelmeer grenzen.
Mit Schwarzmalerei (sic!) ist keinem
gedient, weiß ich doch, aber der Zug ist abgefahren (noch mal schlucken) – so
hieß doch meine Erstveröffentlichung in einer Anthologie (wann war das noch mal)
- Bitte Vorsicht bei der Abfahrt des
Zuges – einst als ein Stück zur Emanzipation verfaßt. Zerstreuung ist
nämlich wichtig. Bildungsbürger halten sich in moderner Aufgeschlossenheit für
weise Wohlwoller: Erst die Rettung, das Leben ergibt sich dann schon. Und das
soll nicht abgründig und bodenlos sein? Also Notversorgung, erst mal Leben
retten, sicher – und dann? Bei der sogenannten elitären Bildungsschicht habe
ich rasch wachsende Bedenken: vor lauter Studiertheit ist oft viel gesunder
Menschenverstand auf der Strecke geblieben. Und mal Hand aufs Herz: denen wird
niemals was abgehen, das ist alles nur Beruhigung des Gewissens – ausbaden muß
es die breite Masse unseres Volkes! Ich kann nicht sehen, daß ich vor diesen
edlen Blendern weniger Schrecken empfinde als bei Horden von schwachköpfigen
Neonazis. Die breite Masse der Bevölkerung, die ruhende Mehrzahl – wir fühlen
uns, auch wenn das Zitat schon häufig mißbraucht wurde, fremd im eigenen Land.
Und ich fürchte, wir haben da letztlich irgendwie auch resigniert. Oder muß
hier nur ein Ventil geöffnet werden und es bricht sich Bahn, die
Unzufriedenheit in unserem zufriedenen Wohlleben, das latente Bedrohungsgefühl,
wenn wir nur an die bereits entstandenen Ghettos in unseren Großstädten denken.
Wegsehen? Ich gehe, wenn ich in der Großstadt bin, mitunter dort hin – und es
ist mir angst und bange – am helllichten Tag. Eine völlig fremde Welt – hier
inmitten der unseren. (Als Einzelgänger bin ich keine gute Orientierung, das
räume ich auch ein, ich äußere mich lediglich zu meinen Wahrnehmungen.)
Ein Blick direkt in die Weltliteratur:
Dürrenmatts Besuch der alten Dame
(wie schleichend das Umdenken der Nützlichkeit Vorschub leistet), Frischs Biedermann und die Brandstifter
(Beschwichtigung angesichts des drohenden Unheils) – oder die wundervolle Szene
in Büchners Woyzeck (er hätte auch
eine Tugend, würde es ihm nur so gutgehen wie dem Herrn Hauptmann).
Dies ist doch nur (m)eine Kolumne, eine
Skizze zu unserer momentanen Befindlichkeit, leider mit fürchterlich schalem
Beigeschmack (wenn ich es recht bedenke, ist es ein Essay zur eigenen
Lagebestimmung geworden). Und ich drohe mich in Schwarzmalerei zu verlieren. Soll
ich mich brüsten, wieder mal richtig gelegen habe, als ich schätzte, wir
fahren, bedingt durch schon viel früher falsch gestellte Weichen, auf einem
Abstellgleis – wird uns „zeitnah“ ein Prellbock erwarten? Oder wird es wie im Western enden,
volle Fahrt auf die Schlucht zu! Western – da ist es nicht weit zu WESTEN.
Verheißungsvolle Gegend. Nunmehr eindeutig weltbekannt – dieses „unser“ Land. Es heißt, es bestehe
noch.
Also die Frage habe ich mir auch schon sehr oft gestellt. Ebenso wenn Familienväter die Flucht ergreifen und ihre Frau nebst Kindern zurücklassen, weil sie wollen nach Europa um ein besseres Leben zu haben, und dann wird die Familie nachgeholt. "Hallo"...war es nicht mal so das Familienmitglieder solche Situationen dann auszubaden haben? Woher auch der Glauben das es in Europa so toll ist und uns allen so gut geht? Dazu dann noch Beschwerden weil die Anträge so lange dauern. Gucken die Menschen sich denn gar nicht um, wollen sie den Ansturm nicht sehen? Können sie nicht 1 und 1 zusammenzählen? Von daher freue ich mich regelrecht wenn ich bescheidene Menschen im Interview höre die einfach nur froh sind dem Krieg entflohnen zu sein, die jegliche Art der Hilfe dankend annehmen. In ganz Europa fliegen einem die Tauben nicht gebraten in den Mund, auch wenn es in Deutschland immer noch grundsätzlich gut läuft und vielen Menschen sehr gut geht - zu gut vielleicht-, denn auch da ist es doch meist das gerade sie am jammern sind.
AntwortenLöschenHelfen wo man helfen kann, aber auch wirklich nicht wenn es um "ein reines besseres Leben" in Europa geht, denn das ist nicht mehr so und es gibt in jedem Land sehr viel eigene Probleme die bewältigt werden müssten.
Übrigens hatte ich die letzten Wochen auch mehrfach das Gefühl das die Arme öfters mal die Küsten abfliegt. Gelesen habe ich allerdings noch nichts über neue Flüchtlingsboote. Der Trend geht wohl wirklich momentan fast ausschliesslich übers Mittelmeer.
Saludos
N☼va