Donnerstag, 2. Oktober 2014

25 Jahre II


Kopf hoch, Ossis: Auch Wessis sterben aus!

   - Bilder, die im Kopf bleiben, Teil 2 –


Die Mauer fällt
Ich war im Autorenverband, gehörte zeitweise dem Vorstand an. Wir hatten sehr viele Mitglieder aus dem östlichen Teil Deutschlands in unseren Reihen, Lehrer, Journalisten und viele andere mehr. Sie hatten allen Grund zu erzählen, wie es ihnen drüben ergangen war. Ich erfuhr aus erster Hand von den Schicksalen, den Schikanen, dem Berufsverbot, dem Kaltstellen, dem Ausgrenzen, von Flucht und Austausch. Ich wußte von den vielen Toten, die die Mauer zu verantworten hatte: Menschen, an der Mauer von Landsleuten erschossen! Ich hörte von verratenen Bürgern, die ein drangsaliertes Dasein gefristet hatten.
   Die Mauer fiel, letztlich irgendwie überraschend, und umgehend hatte unser Vorsitzender ein Wartburg-Treffen arrangiert. Westdeutsche Autoren trafen solche von dort. Ich lernte nun sehr viele andere Leute kennen. Ganz andere. In der riesigen Runde mit um die einhundert Schreibenden war alles vertreten, was die Psychologie hergibt. Besserwisser – und zwar auf beiden Seiten, Schleimer und Wendehälse, unbeugbar Halsstarrige, die sich sofort in verbale Kämpfe begaben und hochnäsige Paroli-Bieter von uns, die ihnen klar zeigten, wo es in Zukunft langgehen wird (von wegen „wo bekommt man jetzt Schreibaufträge“ – wir lachten herzlich). Ex-Majore, die um Anerkennung buhlten, Dissidenten, die auf Klarstellung und letztlich Abrechnung beharrten - die erlittenes Unrecht anzuprangern verständlicherweise nicht müde wurden. Gerade die konnte ich sehr gut verstehen. Ein Rudel westlicher Lyrikerinnen trocknete angefaßt die geflennten Krokodils-Tränen eines reuigen Militärpoeten (Vopo-Offizier!) aus einem der neu entstehenden deutschen Bundesländer, vorgebend, nun ganz den Halt verloren zu haben. Irrwitzige Szenen, die ich nie vergessen werde.
   Mauerspechte verteilten Gesteinsbrocken, Farbsprengsel darauf. Für im Westen wohnhaft gewordene Rübergemachte wie Kleinode. Berührende Autorinnen erzählten von ihren Demos, zeigten unter echten Tränen auf, was sie beherzt angegangen waren, was sie erreichten – WIR SIND DAS VOLK – und so langsam gewann ich erste zaghafte Sympathien hinzu, eherne Vorbehalte wurden brüchig, es begann das Zerlegen der inneren Mauer, und das wird noch lange dauern. Wir brachten damals mit diesen Mitmenschen umgehend eine gemeinsame Anthologie heraus. Es hatte etwas ganz Neues seinen Anfang genommen. (Hach, und im Sport – erste Hochrechnungen für die zu erwartenden glänzenden Medaillenspiegel!). So manch alteingesessener Nachbarn im Westerwald frotzelte: „Und wo ist bitteschön mein Begrüßungsgeld?“
      Nach den offiziellen Begegnungen trafen wir uns privat, Spaziergänge zu Füßen der Burg in tiefstem Schnee, und bei den weiteren Wartburg-Treffen in den Folgejahren auf einmal die ersten Farbtupfer unserer freien Welt! In dem Städtchen Eisenach bereits im Folgejahr, noch aber dominant grau in grau, weiterhin auch stinkig-qualmig die Luft durch die lärmigen Autos dort. Die Stadtbilder änderten sich mit zunehmender Geschwindigkeit – hoffentlich bleiben die wundervollen Alleen erhalten, dachten wir Besucher.
   Kleine Episode am Rande: Im Brentanohaus in Winkel/Rheingau empfingen wir eine Bus-Delegation zum Gegenbesuch aus Anlaß unserer gemeinsamen Anthologie. Wir stießen an und eine Lady des Ostens schnarrte in ihrem Idiom, um kecke Verwegenheit bemüht: „Mit dem Auto sind Sie da? Bei uns gilt ja die 0,0 Promille! Aber Besser-Wessis dürfen das hier ja wohl.“ Und darauf ein befreundeter Professor: „Wieso diese Verdoppelung – Wessi ist bessi!“ Arrogant, aber …herrlich. (Ungezählte solcher klingenscharfen Bonmots gibt es zuhauf in meinen Tagebüchern. Aber ich will nun nicht abschweifen.)
   Ich war unterdessen öfters „drüben“, auch in Stralsund, wo wir über einen neuen „Highway“ nahezu unbedrängt „hinüberglitten“, indes der Soli unseren heimischen Straßenerhalt vergessen ließ. Tausenderlei Dinge, die nicht so liefen, wie gedacht – aber was war das auch für eine Umwälzung.
   Wir sind nun immer mehr gewahr geworden, die Menschen dort schauen weiterhin in die über sie angelegten STASI-Akten und werden verständlicherweise nicht müde fassungslos zu staunen, was die lieben Mitmenschen (Kollegen, Nachbarn, Familienmitglieder!) so nebenher betrieben: Ausspähen, Abhören, der „informelle Mitarbeiter“ (IM) von nebenan, die Verstrickungen unermeßlich. Wir lachen hier über Bananenwitze, wenn wir das Gesächsel hören, deren typischen Abkürzungs-Fimmel, zum Piepen. Vorbehalte sind zunächst einem abgründigen Humor gewichen. Es braucht seine Zeit. Wir wachsen zusammen, ganz allmählich. Ich habe neue Wörter gelernt!
   Schon bald die undankbaren Klagen, daß es nichts sei mit den versprochenen „blühenden Landschaften“, immerzu war zu vernehmen „Jetzt sind wir aber mal dran!“ – und natürlich die Wildwestler, die geschäftstüchtig knallhart wirkten und sich bereicherten. Willkommen in der Freiheit! Nicht alle kamen damit klar, das wächst sich aus (in Geschäften in Stralsund schlug mir feindselige Haltung entgegen, ich fühlte mich an Holland erinnert). Ich muß es leider immer noch sagen: Einer durchaus abweichenden Arbeitsmoral begegne ich auch heute noch auf Schritt und Tritt (die verräterische Sprache bezeugt es). Nein, gewiß, hier in den alten Bundesländern ist nicht alles gut und vorbildlich – aber tauschen hätte ich zu keiner Zeit mögen. Und meine Hochachtung gilt diesen beherzt aufmuckenden Menschen, die friedlich den Umsturz erzwangen – eine ganz große Leistung! Nun kippt leider manchmal die Betonung der Parole – das stolz proklamierte WIR SIND DAS VOLK ist zu einem gesamtdeutschen „Wir sind ein Volk…“(Kopfschütteln) verkommen.
   Ich war wiederholt in Berlin, habe von jüngeren Menschen anhand Museums-Besuch mehr über den Alltag dort erfahren. Kindheitserinnerungen, wie alles so gewesen ist. Verklärung auch dort. Ganz parallel. Verständliche Nostalgie, spezielle Ostalgie. „Es war doch nicht alles schlecht“ – nein, aber in der Nazizeit angeblich auch nicht.
   Die materielle Mauer ist schnell gewichen, die Mauer in den Köpfen kann nur durch Aussterben beseitigt werden – wir alle tragen unsere Erfahrungen mit uns herum, ganz vorbehaltlos kann nicht alles gelöscht sein. In keinem Kopf, hüben wie drüben. Es ist eine Frage des fairen Umgangs: Und das ist auf beiden Seiten (ja, die gibt es noch) verbesserungswürdig. Ich will gerne daran arbeiten, habe seit Jahr und Tag einer Flut liebenswerter Menschen die Hand gereicht, aber vergessen möchte ich nichts. Und mir ist völlig klar, ich war letztlich nur indirekt betroffen. Aber Betroffenheit ist ein starkes, ein prägendes Gefühl.
   Ach, ich hänge einfach noch mal den zentralen Ausspruch aus meinem Lieblingsfilm an: Am Ende wird alles gut. Und wenn nicht alles gut ist, ist es auch noch nicht das Ende.

Danke fürs Lesen, und bitte stets beachten: ES SIND MEINE Eindrücke.

2 Kommentare:

  1. Nun auch mal nachgelesen (ich hoffte das die Fortsetzung schon da ist) kann ich nur alle beide Daumen nach oben strecken und schreiben dass du mir mit diesem Post voll aus dem Herzen sprichst. So sind auch viele Eindrücke die ich mir machen konnte, und auch hier teilweise heute noch mache. ;-)

    Liebe Grüssle

    N☼va

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  2. Danke. Ich fürchte ( nein, ehrlich gesagt hoffe ich auch!!!), daß ich damit bei so manchen böse anecke. Aber - es ist wie es ist! "Das wird man doch noch sagen dürfen", heißt es heute. Also, bitte. Dafür bin ich ja als GIFTZWERG angetreten.

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Danke! ;)