Mittwoch, 12. September 2012

Sammler


Ich heiße Wolfgang und ich bin Sammler
-eine Rechtfertigung-

Eigentlich wollte ich darüber schreiben, wie es ist, als Morgenmensch zu leben – als Außenseiter sozusagen, kreativ ausgeruht, taufrisch – aber nicht im Sinne des aufgekratzten Frühstücksradios, bloß nicht. Ich bin auch anderweitig ein stolzer Sonderling. Dumme Emanzen (das muß kein Widerspruch sein), behaupten, Männer sind Jäger, Frauen die Sammlerinnen. Ich kenne so gut wie keine Sammlerin, mal Schuhe klischeegerecht außen vor, aber soviel ich weiß, sind Männer Jäger oder Sammler – Frauen sind eine ganz andere Hausnummer, mit vielen Ks und so, ein anderes großes Thema.
   Sammler sein heißt süchtig sein. Die Anfänge mit Pilzen, Beeren, Brennmaterial oder Weibern streife ich nur. Die einen leben sich an Bierdeckeln aus, an Senfgläsern oder Kronenkorken – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, man kann eigentlich nahezu alles sammeln. Andere sammeln auf hochwertigem Niveau – Briefmarken, Münzen beispielsweise, anerkannte Werte, also umgewandelte Geld- und Kapitalanlagen. Die können ihre Lieblinge aber nur anschauen (und an den möglichen Zaster denken). Ich kann es bei meinen Schätzen auch, aber ich kann sie auch noch konsumieren! Ich habe Sammlungen mit doppeltem Wert. Es geht um Bücher, Platten und Filme (Oberbegriffe). Weite Felder, sage ich mal (manche spezialisieren sich dieserhalb ob der Fülle, also meinetwegen Grisham, Beatles, Woody Allen), aber ich natürlich  muß wieder an das Große und Ganze, uferlos, das volle Programm. Na klar.

   Wer mein Haus betritt, erstmalig (und der GiftzwergMÄÄN in mir wird schon unruhig), der staunt und letztlich kommt die unvermeidliche Frage bei den Büchern: „Die haben Sie alle gelesen?“ Bei den LPs und CDs „Alle gehört?“ und den Videos und DVDs – na? Richtig: „Hast Du die alle geschaut???“ – dann bleibt mir nur die HB-Männchen-Explosion: NATÜRLICH NEIN, GEHT DOCH GAR NICHT – wie auch – MACHEN SIE DOCH MAL IM KOPF EINE ZEITLICHE HOCHRECHNUNG – SO ALT WIRD DOCH KEINE SAU aber das sage ich nicht, platze nicht mit protzigen Zahlen heraus, trotz vorhandenem Besitzerstolz – man sieht es den großkotzigen Regalwänden ja nicht an, was die so fassen – nur ein Statiker käme ins Grübeln.

   Ich bin über 60 – mit siebzehn habe ich so richtig angefangen; nie getrunken, nicht geraucht, kein Geld unnötig für Mädels ausgegeben – aber gehortet ohne Ende. Ich weiß heute noch meine ersten Platten zu benennen, wie glückselig ich am sechzehnten Geburtstag die ersten Beat-Singles erhielt, bin untrennbar mit Titeln und Interpreten verbandelt, auf ewig. Die erste LP im Konsum, Beat in Germany, 10 Mark – und 1967 die erste reguläre LP – Images – von den für mich bis heute unsterblich gebliebenen WALKER BROTHERS. Mein Vater drehte am Rad, als er erfuhr, daß ich von den zwanzig Mark Taschengeld diese Scheibe für achtzehn gekauft hatte. Er hat es zeit seines Lebens nicht gerafft, der Blödmann (ich glaube, er sammelte Langeweile).

Ich weiß noch, was ich wo aus Angebotskisten gefischt habe … in Siegen die Grabbelkisten mit aus Musikboxen rückläufigen Scheiben, Singles für fünfzig Pfennige …Und ach, ich komme ins Schwärmen, unzählige Anekdoten kann ich damit speisen. Ich kam heim, ging um das Haus herum, legte die für die Schultasche sperrige Langspielplatte auf dem Balkon ab, betrat sozusagen unbewaffnet die Mietwohnung, pubertärgerecht lieblos an Muttern vorbei, geradewegs durch zu meinem Zimmer – Anlage an (ob ich dachte, das Mütterlein könnte den Lärm nicht differenzieren, weil dauernd neues aufgelegt wurde, auf den kleinen Plattenspieler, der am großen Holzradio angeschlossen war?). 

 Mitunter die Begegnung, mit der lange gesuchten Scheibe Auge in Auge (ich vernachlässige jetzt mal Bücher und Filme – Platten, das gibt mehr her). Ich hatte Bundeswehr-Kumpels zu mir in die Kleinwohnung in Kesselheim eingeladen, mit geschwellter Brust den prall gefüllten Schrank geöffnet, dann meine  joviale Frage nach Hörwunsch – und es wurden gewünscht: Nights in white satin beziehungsweise Lady in black …..als Sampler-Sammler hatte ich noch keine Zusammenstellung von Moody Blues und auch nicht von Uriah Heep – 1972 gab es die noch nicht: Und der eine sprach dann den schicksalsschweren Satz: „Was hast Du überhaupt?“ Einer der Momente, die ein Leben prägen können – das sollte mir nie mehr jemand sagen!

   Später in Koblenz wußte ich, wann der Handelshof 5-Mark-LPs hatte, Pressungen aus Israel oder Portugal; mit vielen Verkäufern war ich dicke, da kam so mancher Tipp (das ging damals noch) – aus dem Büro für eine Stunde abgemeldet, mit den anderen Besessenen Füße scharrend auf die Öffnung um neun Uhr gewartet – und einem Schlußverkauf gemäß zum Ziel gebrettert – gleich mehrere von einem Exemplar gegriffen, und schon vor dem käuflichen Erwerb getauscht mit den anderen Irren, immer die gleiche Truppe da! Zweifelsfälle versteckt (Stones unter Heino und so, Sie verstehen – da würde der normale Fan niemals hinfassen) … ach selige Zeiten, dahin, dahin.

   Wenn Kollegen fragten, weil ich mittags stets mit einer Plattentüte anzutreffen war, sagte ich verlegen, oooch, gegen Traurigkeit. Selbst der Weltrekordhalter der Melancholie könnte dies nicht rechtfertigen.

   Aber ich wollte doch bekennen und nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Die Probleme fingen an (nun mal kurz zum Film) – daß ich jedes Jahr, wenn im Fernsehen High Noon  oder an Silvester Dinner for one ausgestrahlt wurde, dies sehen mußte – bis zum nächsten Mal war es dann länger hin, beim unvergleichlichen Freddie Frinton  garantiert genau ein Jahr. Ich zeichnete per Video auf (später Kauf der DVD) – und von da an entfiel dieser Zwang – die ständige Verfügbarkeit war gegeben – ich schaute es mitunter jahrelang nicht – den Western schon zig Jahre nicht mehr!!! – denn ich könnte das ja jederzeit … es hatte sich so eine Art Ausschlußverfahren entwickelt. Eine kleine Befreiung von dem einen Zwang – und führte ohne Umschweife zu einem neuen unseligen, real existierenden Malheur.

   Die Crux ist, daß sich da etwas einschleicht, was man irgendwie nicht mehr beherrschen kann, das ergibt sich so – es ist kein Alles-Haben-Müssen, aber doch möglichst viel! EIN STREBEN NACH VOLLKOMMENHEIT, das kommt schon nah. Ich hab‘ sie nicht alle? Stimmt – aber ich arbeite dran. Sisyphos des Konsums, immerwährendes Hinterhertapern, aussichtslos.
Ständig Neuauflagen mit Bonustracks, Ausheben von Schätzen aus Studioarchiven – uns Sammlern wird es nicht leicht gemacht. Da ist dieses penetrante Bemühen, irgendwie hinterherzukommen. Eine Illusion, das ist auch mir klar. Auf Flohmärkten das Stöbern anhand von Suchkladden nach Verschollenem und Unbestellbarem…
Und auf die Frage, ob ich Diese oder Jenen kenne mit einem zackigen „Habbich“ antworten, ein schönes Gefühl.  Zufriedenheit und ein Hauch Glückseligkeit. Irre? Ist noch gar nichts … Aber darum geht es letztlich nicht. Schön, wenn Teile Seltenheitswert haben, nun über hundert Euro wert sind laut einschlägiger Kataloge – von mir aus gerne.

   Die Kernfragen lauten – wo lasse ich alles, wie konsumiere ich das? Es sind die schönsten Sorgen und Probleme dieses meines Lebens! Glauben Sie mir – es ist schlicht und ergreifend wundervoll (und mit dem Wort geize ich für gewöhnlich). 

   Was ich nicht mag: Herunterladen - gräßlich! Eine Sammlung, verborgen in einen STICK –unfaßbar lieblos. Pfui Teufel. Der Wandel von optisch schöner LP zur schnöden CD war schon ein harter Brocken, letztlich aber unumgänglich. Die Klangfrage – ein unlösbarer Geschmacksstreit. 

   Der Gedanke an die Vererbung schleicht sich ein – nach mir die Sintflut, könnte man sagen, aber es ist ein richtiger Wert – wer hier Stück für Stück verscherbeln würde, hätte eine lebenslange Absicherung und Arbeit – Hand drauf. Das sollte mir dann auch egal sein – aber, wie gesagt, nur über meine Leiche.

   Vorerst gehe ich in den Großmärkten der Städte ein und aus, fische nach den Angeboten. Ich vermisse die selten gewordenen Liebhaberläden. Beschaffung über Internet – wie sagt man heute: GEHT GAR NICHT. Wenn sich auch die Zeit gewandelt hat, ich stöbere liebend gerne persönlich nach Raritäten (was ich gemäß immerwährender Suchlisten an Büchern, Filmen und CDs suche – nicht des allgemeinen Wertes wegen, sondern meinem ideellen Gutdünken entsprechend) – und erfreue mich an dem immer wieder stattfindenden Ach endlich – da bist Du ja!

   Kommen Sie, staunen Sie – hier helfe ich mir selber.

1 Kommentar:

  1. Ha....da haben wir was gemeinsam. Auch wenn ich so einiges am Rechner mache...aber runterladen...neee. Ich muss auch noch was in der Hand halten, ne CD (wobei ich auch noch einen Plattenspieler zbd Schallplatten besitze) in den Player einlegen oder auch ein Buch in die Hand nehmen. Besitze kein Kindle, und noch weigere ich mich auch. Mein Bücherregal ist auch im Laufe der Jahre gewachsen ohne Ende, so möchte ich aber auch auf Keines verzichten. Ich kann mich da nicht von trennen.

    Ich finde das gut, behalte es dir bei, einen Tick muss der Mensch ja haben ;-)

    Liebe Abendgrüssle

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Danke! ;)